Krieg in der Ukraine – Auswirkungen auf Finanzdienstleistungen und Zahlungsverkehr
Als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Europäische Union gemeinsam mit ihren internationalen Partnern sukzessiv harte Sanktionen beschlossen. Diese zielen insbesondere darauf ab, die russische Wirtschaft und die politische Elite massiv zu schwächen. Das hat auch Auswirkungen auf Finanzdienstleistungen und den Zahlungsverkehr. Welche das sind, darüber sprechen wir in „Drei Fragen an…“ mit dem PwC-Experten Michael Huertas.
Der Krieg in der Ukraine ist inzwischen fünf Wochen alt und die im Zusammenhang damit erlassenen Sanktionen gegen Russland haben immer weitreichendere Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Wirtschaftsbeziehungen, denn Russland war in der Vergangenheit ein wichtiger Handelspartner. Welche Folgen hat die Situation für Finanzdienstleistungsunternehmen und welche Aktionspunkte ergeben sich daraus?
Michael Huertas: Die Sanktionen haben vor allem Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr, auf Handelsbeziehungen und auf Finanzmarkttransaktionen im Zusammenhang mit diesen Handelsbeziehungen. Etwas, das im Derivatebereich sehr wichtig geworden ist, ist beispielsweise die Umsetzung einer sogenannten Dokumentationshierarchieprüfung. Das bedeutet, dass Unternehmen jetzt genau danach schauen müssen, was für Klauseln sie wo vereinbart haben, wie sie miteinander harmonieren und was sie ermöglichen beziehungsweise wo Lücken oder Grauzonen bestehen. Wenn man im Derivate- oder Tradingbereich unterwegs ist, hat man immer unterschiedliche Vertragskonstellationen. Manche Klauseln sind übergeordnet und regeln die gesamte Geschäftsbeziehung, andere Klauseln sind dagegen produktbezogen und regeln individuelle Transaktionen. Und es ist absolut essenziell, sich hier einen Überblick darüber zu verschaffen, wo welche Klauseln stehen, was sie einem ermöglichen und wer sie auch mal kündigen kann. Diese Prüfung durchzuführen ist deshalb so wichtig, weil man darüber für sich klären kann, wo man ein direktes und wo ein indirektes Risiko in Bezug auf Russland oder mit russischen Gegenparteien hat.
Die Kündigungsklausel, gerade was das Thema Illegality betrifft, greift größtenteils ja nur, wenn ein direktes Kriegsverhältnis zwischen zwei Ländern besteht. Diesen Fall haben wir in Deutschland glücklicherweise nicht. Das hat aber zur Folge, dass die Illegality-Klausel in vielen Fällen nicht funktioniert. Wie soll man hier vorgehen?
Michael Huertas: Tatsächlich bestehen trotz der Lage in Russland und trotz der Einschränkungen am Markt und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Preise verschiedene Verpflichtungen, die man noch zu erfüllen hat. Denn die meisten Trading-Verträge sind so ausgelegt, dass ohne bestimmte Kündigungsklausel – wie beispielsweise Illegality oder Force Majeure oder auch eine Material Adverse Change Klausel – weiterhin die Verpflichtung besteht, der Erfüllung nachzukommen, wenn Sanktionen dies nicht direkt oder indirekt verhindern. Deshalb kann ich nur appellieren, deutlich mehr auf diese Klauseln zu schauen und sich die Frage zu stellen, wie man wo gezielt Verbesserungen erreichen kann, wie man nicht nur kurzzeitige Risiken stemmen, sondern auch längerfristig das Handelsrisiko verbessern kann. Das ist enorm wichtig, weil es hier in den meisten Fällen um sehr viel Geld geht. Es bewegt sich sehr viel und das hat finanzielle Risiken, aber auch Auswirkungen auf nicht finanzielle Risiken. Deshalb auch hier der Rat, dass man – wenn man Änderungen am Vertrag vornimmt – darauf achtet, die Entscheidungen, warum man einen gewissen Weg gewählt hat, warum man eine gewisse Klausel angepasst hat, warum man sich für einen Zahlungsstopp entschieden hat oder man ein gewisses Exposure gekündigt hat, detailliert begründet. Das ist auch wichtig, um Reputationsrisiken zu minimieren.
Es gibt ja durch das sogenannte ISDA eine Reihe von Rahmenverträgen, in denen grundlegende vertragliche Verpflichtungen zwischen handelnden Parteien festgelegt sind. Das betrifft auch die genannten Kündigungsklauseln. Was kann ich machen, wenn ich in der derzeitigen Lage mein Risiko trotzdem nicht mehr absichern kann?
Michael Huertas: Der einfachste Weg für die meisten Finanzdienstleister ist, sich mit den Mitstreitern am Markt, insbesondere bei gemeinsamen Kunden, abzusprechen und, soweit zielführend, eine gemeinsame Linie zu fahren. Denn die Kunden wollen nicht von vielen unterschiedlichen Finanzdienstleister viele unterschiedliche Lösungen bekommen, sondern nur eine. Sonst führt das zu unnötiger weiterer Komplexität. Das Grundprinzip, um Risiko zu minimieren, ist daher, zu eruieren, wo man noch Geschäft machen kann und dann entsprechend zu schauen, ob man etwas kündigen muss oder kann, ob man etwas neu aufsetzten muss, ein Gegenparteiwechsel sinnvoll ist et cetera. Das Absprechen ist essentiell, um an einem Strang zu ziehen und um Risiko im Markt zu minimieren. Und um es nochmal auf die Dokumentationspflicht zurückzubringen: nur weil ich im ISDA etwas festgeschnürt habe, heißt das nicht, dass das im darüber liegenden sogenannten Prime Brokerage Agreement auch in der Form gilt. Diese Agreements beinhalten meistens Klauseln, die vorschreiben, dass in bestimmten Fällen das, was im ISDA verhandelt worden ist, maßgebend ist. Es sei denn, etwaige Ausnahmen greifen. In diesen Fällen greift dann die Klausel xy. Das bedeutet: wenn man weiß, was man im ISDA machen kann, muss man trotzdem schauen, ob man das eigentlich auch sonst im Sinne des Prime Brokerage Agreements oder sonstiger Trading AGBs machen darf. Oder ob vielleicht schon etwas anderes dazu geführt hat, dass man einen sogenannten cross-default, das heißt einen Drittverzug hat, sodass man ohnehin kündigen muss. Man kann also zusammenfassend sagen, dass es vor allem darauf ankommt, den Fahrplan immer wieder zu justieren, alles genau durchzugehen und selbst dafür zu sorgen, dass man den Gesamtüberblick der Vertragsdokumentation hat und schaut, welche rechtliche, finanziellen und nicht-finanziellen Risiken es gibt.
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