EuGH: City-Karte für Touristen als Mehrzweck-Gutschein
In einem schwedischen Vorabentscheidungsersuchen hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals die Gelegenheit, sich zur Anwendung der ab 2019 geltenden Gutscheinregelungen in der Mehrwertsteuerrichtlinie zu äußern. Zentrale Frage war dabei, ob eine sogenannte „City Card“ ein Gutschein ist und ob insoweit ein Mehrzweck-Gutschein vorliegt. Die Europarichter halten im entschiedenen Einzelfall eine Einordnung als Mehrzweck-Gutschein für möglich.
Hintergrund und Sachverhalt
Ein Einzweck-Gutschein ist ein Gutschein, bei dem bereits bei Ausstellung alle Informationen vorliegen, die benötigt werden, um die umsatzsteuerliche Behandlung der zugrunde liegenden Umsätze mit Sicherheit zu bestimmen. Die Umsatzbesteuerung erfolgt bereits im Zeitpunkt der Ausgabe bzw. Übertragung des Gutscheins. Ein Mehrzweck-Gutschein liegt vor, wenn im Zeitpunkt der Ausstellung nicht alle Informationen für eine zuverlässige Bestimmung der Umsatzsteuer vorliegen. Die Besteuerung erfolgt hier erst dann, wenn die tatsächliche Lieferung oder sonstige Leistung erbracht wird. Die Bestimmungen über Gutscheine in der Mehrwertsteuerrichtlinie der EU gelten für Gutscheine, die nach dem 31. Dezember 2018 ausgestellt werden.
In dem schwedischen Vorabentscheidungsersuchen geht es um eine als "City Card" bezeichnete Karte, die dem Karteninhaber das Recht gibt, für einen begrenzten Zeitraum und bis zu einem bestimmten Wert bestimmte Dienstleistungen an bestimmten Orten in Anspruch zu nehmen. Die Karte gibt den Karteninhabern während eines begrenzten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert das Recht auf Zugang zu einer Vielzahl an Attraktionen, wie Sehenswürdigkeiten und Museen.
Vorlagefrage: Handelt es sich bei einer Karte, die den Karteninhaber berechtigt, verschiedene Dienstleistungen an einem bestimmten Ort für einen begrenzten Zeitraum und bis zu einem bestimmten Wert in Anspruch zu nehmen, um einen Gutschein, und stellt er in diesem Fall einen Mehrzweck-Gutschein dar?
Die Zweifel an der Charakterisierung der „City-Card“ als Mehrzweck-Gutschein ergaben sich u. a. dadurch, dass sie durch eine hohe Wertgrenze und eine kurze Geltungsdauer charakterisiert ist, was normalerweise dazu führt, dass ein durchschnittlicher Verbraucher die Karte nicht in vollem Umfang nutzen kann.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH bejaht die Ausgangsfrage grundsätzlich. Ein Instrument, das seinen Inhaber berechtigt, verschiedene Dienstleistungen an einem bestimmten Ort während eines begrenzten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert in Anspruch zu nehmen, kann einen „Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 1 Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen, auch wenn ein Durchschnittsverbraucher aufgrund der begrenzten Gültigkeitsdauer dieses Instruments nicht alle angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann. Dieses Instrument, so der EuGH, stelle einen „Mehrzweck-Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 3 dieser Richtlinie dar, da die auf diese Dienstleistungen geschuldete Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt seiner Ausstellung nicht feststeht.
Gutschein: Zu prüfen sei zum einen, ob bei einem solchen Instrument die Verpflichtung besteht, es als Gegenleistung oder Teil einer solchen für eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen anzunehmen und zum anderen, ob die zu liefernden Gegenstände oder zu erbringenden Dienstleistungen oder die Identität der möglichen Lieferer oder Dienstleistungserbringer entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen angegeben sind. Obwohl aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass diese beiden Voraussetzungen offenbar erfüllt sind, müsse dies jedoch vom vorlegenden Gericht erst noch gesondert überprüft und bestätigt werden.
Mehrzweck-Gutschein: Die Mehrwertsteuer, die für die vom Inhaber der in Rede stehenden Karte in Anspruch genommenen Dienstleistungen geschuldet wird, steht zum Zeitpunkt der Ausstellung der Karte nicht fest, was ihre Einstufung als „Einzweck-Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausschließt. Folglich wäre diese Karte, sofern sie nach Überprüfung durch das vorlegende Gericht, einen „Gutschein“ darstellt, als „Mehrzweck-Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 3 dieser Richtlinie einzustufen, denn der Begriff des Mehrzweck-Gutscheins habe eine Auffangfunktion: Alle anderen Gutscheine als Einzweck-Gutscheine stellten nämlich nach der Bestimmung in Art. 30a Nr. 3 der Mehrwertsteuerrichtlinie „Mehrzweck-Gutscheine“ dar.
Den Umstand, dass ein Durchschnittsverbraucher aufgrund der kurzen Gültigkeitsdauer nicht alle umfassten Leistungen in Anspruch nehmen kann, sieht der EuGH als irrelevant an.
Anmerkung: Mit BMF-Schreiben vom 2. November 2020 hatte die deutsche Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Einzweck- und Mehrzweck-Gutscheinen Stellung genommen (siehe dazu: Blogbeitrag vom 8. November 2020).
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 28. April 20211 (C‑637/20), DSAB Destination Stockholm
Eine englische Zusammenfassung des Urteils finden Sie hier.