Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass die von Deutschland abgeschlossenen DBA grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinanderstehen und jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen sind, so dass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm eines dieser Abkommen gewährt.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt über das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland.
Die Kläger waren Eheleute und lebten in einer gemeinsamen Wohnung in Deutschland. Anlässlich seiner Tätigkeit in der Schweiz mietete der Kläger eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er arbeitstäglich zu seiner schweizerischen Arbeitsstätte pendelte. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers befand sich in Deutschland, sodass der Kläger (Ehemann) gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) aa) DBA-Frankreich als in Deutschland ansässig behandelt wurde (sog. tie-breaker-rule).
In seinen Steuererklärungen in Deutschland behandelte der Kläger seinen Arbeitslohn als in Deutschland (unter Progressionsvorbehalt) steuerfrei.
Das Finanzamt folgte dem nicht und bezog den Arbeitslohn in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuerfestsetzungen ein.
Die Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte Erfolg.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht hat zu Recht entschieden, dass der in der Schweiz erzielte Arbeitslohn des Klägers gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen ist und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterliegt.
Die Kläger sind aufgrund ihrer inländischen Wohnung unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EstG) i.V.m. § 8 der Abgabenordnung (AO)). Daraus folgt, dass der Kläger aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG erzielte. Da er seine Tätigkeit in der Schweiz ausübte, sind diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unilateralen Rückfallklausel sind nicht erfüllt. Dies gilt sowohl für § 50d Abs. 8 EStG als auch für § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG.
Darüber hinaus ist das Finanzgericht zu Recht davon ausgegangen, dass auch die abkommensrechtliche Dreieckskonstellation eine Besteuerung in Deutschland nicht rechtfertigt.
Die Dreieckskonstellation ergibt sich im Streitfall daraus, dass der Kläger sowohl in Deutschland als auch in Frankreich einen Wohnsitz hat, seine Einkünfte aber aus dem Quellenstaat Schweiz bezieht. Bei isolierter Betrachtung der jeweiligen DBA steht das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 dem Quellenstaat Schweiz, nach dem DBA-Schweiz/Frankreich Frankreich (Grenzpendlerregelung) und nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zu.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts kann die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Deutschland durch das DBA-Frankreich 1959/2001 die Steuerfreistellung für den Arbeitslohn des Klägers nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 nicht aufheben.
Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen.
Die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA (hier: DBA-Schweiz 1971/2010) wird daher in einer Dreieckskonstellation nicht dadurch beeinträchtigt, dass nach dem mit einem weiteren Staat bestehenden DBA (hier: DBA-Frankreich 1959/2001) das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (als sog. Drittstaateneinkünfte) Deutschland zugewiesen wird.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 01. Juni 2022 (I R 30/18), veröffentlicht am 06. Oktober 2022.