Behandlung ausländischer Krankengeldzahlungen und Kapitaleinkünfte im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht und des Progressionsvorbehalts

Bei der Bemessung des Progressionsvorbehalts bleiben ausländische Kapitaleinkünfte außer Betracht, die bei einem inländischen Sachverhalt der Abgeltungsteuer unterliegen würden (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 12.August 2015, I R 18/14, BStBl II 2016, 201). Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger ist als Erbe Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Schwester S. S erzielte im Streitjahr 2012 Zinseinkünfte und erhielt Krankengeld vom niederländischen Sozialversicherungsträger. Die Zinseinkünfte und das Krankengeld wurden vom niederländischen Fiskus besteuert.

Der Kläger beantragte beim Finanzamt, S nach § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EstG) als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln. Das Finanzamt kam zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG nicht vorlägen, weil die niederländischen Krankengeldzahlungen bei der Prüfung der Wesentlichkeitsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG als ausländische Einkünfte zu berücksichtigen seien, und besteuerte S daher unter der Annahme der beschränkten Steuerpflicht.

Die Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf hatte Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat die Revision des Finanzamtes als teilweise begründet angesehen und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Das Finanzgericht hat zwar zu Recht entschieden, dass die inländischen Einkünfte der S für das Streitjahr unter Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG ermittelt werden. Jedoch ist bei der Bemessung des besonderen Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG das in den Niederlanden bezogene Krankengeld zu berücksichtigen.

In Abgrenzung zum Urteil vom 01. Oktober 2014, I R 18/13 hat der BFH entschieden, dass für die Berechnung der sog. Wesentlichkeitsgrenzen gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG als Voraussetzung für die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht auf der ersten Stufe (Ermittlung der Welteinkünfte) Einnahmen, die nach Maßgabe des deutschen Einkommensteuerrechts steuerbar, aber z.B. nach § 3 EStG steuerfrei sind (hier: Krankengeldzahlungen aus den Niederlanden), nicht einzubeziehen sind. Einen sachlichen Grund dafür, steuerfreie Einnahmen i.R.d. Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG anders zu behandeln als von vornherein nicht steuerbare Einkünfte (vgl. hierzu BFH I R 18/13, Rn. 19 f.), sieht der BFH nicht. Die Krankengeldzahlungen sind allerdings gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG i.R.d. Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

In Abgrenzung zum Urteil vom 12. August 2015, I R 18/14 hat der BFH entschieden, dass ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen, die bei einem inländischen Sachverhalt der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 Satz 1 oder § 43 Abs. 5 EStG unterliegen würden, bei der Bemessung des Progressionsvorbehalts nicht zu berücksichtigen seien (dies hatte der BFH im Urteil I R 18/14, Rn. 25, ausdrücklich offengelassen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2009 vom 19. Dezember 2008 nicht vorlagen). Folglich sind die niederländischen Zinseinkünfte (im Gegensatz zu den Krankengeldzahlungen) nicht einzubeziehen.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 01. Juni 2022 (I R 3/18), veröffentlicht am 13. Oktober 2022.

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