EuGH: Versagung des Vorsteuerabzugs beim zweiten Erwerber wegen Betrugskenntnis

Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Finanzgerichts Nürnberg hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass auch einem zweiten Erwerber in der Lieferkette der Vorsteuerabzug in voller Höher versagt werden muss, wenn dieser wusste oder hätte wissen müssen, dass der Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Eine anteilige Begrenzung auf den tatsächlichen Steuerschaden lehnten die Europarichter ab.

Hintergrund

Kann dem zweiten Erwerber der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb versagt werden, weil er wissen musste, dass der ursprüngliche Verkäufer bei der ersten Veräußerung Mehrwertsteuer hinterzog, obwohl auch der erste Erwerber wusste, dass der ursprüngliche Verkäufer bei der ersten Veräußerung Mehrwertsteuer hinterzog? Darum ging es in einem Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Nürnberg (Beschluss v. 21.09.2021 – 2 K 345/20). Falls dies bejaht wird möchte das Finanzgericht mit seiner zweiten Frage wissen, ob die Versagung bei dem zweiten Erwerber betragsmäßig auf den durch die Hinterziehung entstandenen Steuerschaden begrenzt ist.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb von C, der sich als W ausgab, für sein Unternehmen einen Gebrauchtwagen, den C in einem früheren Jahr von einem Dritten erworben hatte. W wusste, dass C sich für ihn ausgab, und war damit einverstanden. C stellte W eine Rechnung über die Lieferung des Gebrauchtwagens für 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Mehrwertsteuer, W dem Kläger eine Rechnung über 64.705,88 € zuzüglich 12.294,12 € Mehrwertsteuer, die er C überließ, der sie dem Kläger aushändigte. Der Kläger übergab C insgesamt 77.000 €, die dieser für sich behielt. C berücksichtigte nur einen Verkaufspreis von 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Mehrwertsteuer und zahlte auch nur Steuer in der sich daraus ergebenden Höhe. W erfasste den Vorgang weder in seiner Buchhaltung noch in seinen Steuererklärungen und zahlte insoweit auch keine Steuer.

Nach der Argumentation des Finanzgerichts wäre möglicherweise dem Kläger der Vorsteuerabzug in Höhe von ca. 12.300 € zu versagen, obwohl C nur ca. 2.400 € Mehrwertsteuer hinterzog und in der Leistungskette von C über W an den Kläger die tatsächlich gezahlte Steuer insgesamt nur um diesen Betrag hinter der bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Geschäftsvorfalls geschuldeten Steuer zurückbleibt.

Entscheidung des EuGH

In Beantwortung der ersten Frage stellt der EuGH fest, dass auch dem zweiten Erwerber eines Gegenstands der Vorsteuerabzug versagt werden kann, obwohl auch der erste Verkäufer Kenntnis von dieser Hinterziehung hatte.

Zur zweiten Frage im Ausgangsverfahren entschied der EuGH, dass dem zweiten Erwerber eines Gegenstands, mit dem auf einer Umsatzstufe vor diesem Erwerb ein betrügerischer Umsatz bewirkt wurde, der nur einen Teil der Mehrwertsteuer betraf, die der Staat erheben darf, das Recht auf Vorsteuerabzug vollständig zu versagen ist. wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass der Erwerb mit einer Steuerhinterziehung in Zusammenhang stand.

Da es eine implizite materielle Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug darstellt, so der EuGH, dass der Steuerpflichtige trotz Vornahme der Überprüfungen, die vernünftigerweise von jedem Wirtschaftsteilnehmer verlangt werden können, keine Kenntnis vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung hatte, die den besteuerten und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsatz betraf, muss einem Steuerpflichtigen, der diese Voraussetzung nicht erfüllt, daher die Ausübung seines Rechts auf Vorsteuerabzug vollständig versagt werden.

Diese Schlussfolgerung, so der EuGH, werde durch die Ziele bestätigt, die mit der Pflicht der nationalen Behörden und Gerichte verfolgt werden, das Recht auf Vorsteuerabzug in Betrugsfällen zu versagen. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, soll dieses Erfordernis nämlich die Steuerpflichtigen anhalten, die Sorgfalt walten zu lassen, die vernünftigerweise bei jedem wirtschaftlichen Vorgang verlangt werden kann, um sicherzustellen, dass die von ihnen bewirkten Umsätze nicht zu ihrer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen.

Dieses Ziel könnte jedoch nicht wirksam erreicht werden, wenn die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug anteilig auf denjenigen Teil der als geschuldete Mehrwertsteuer gezahlten Beträge beschränkt würde, der dem hinterzogenen Betrag entspricht. Denn in einem solchen Fall würden die Steuerpflichtigen nur motiviert würden, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Folgen einer eventuellen Steuerhinterziehung zu begrenzen, aber nicht unbedingt Maßnahmen, mit denen sie sicherzustellen können, dass die von ihnen bewirkten Umsätze nicht dazu führen, dass sie sich an einer Steuerhinterziehung beteiligen oder diese begünstigen.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 24. November 2022 (C-596/21), Finanzamt M (Étendue du droit à déduction de la TVA).

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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