Ausschluss des Abgeltungsteuertarifs bei Erfüllung einer Verbindlichkeit einer GmbH durch Aufrechnung gegenüber einem Gesellschafter, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist

Der Ausschluss des Abgeltungsteuertarifs gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum JStG 2020 geltenden Fassung ist nicht davon abhängig, dass die Erfüllung der Verbindlichkeit der GmbH bei dieser einen gewinnwirksamen Aufwand auslöst. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger war mit 50 % an der M-GmbH beteiligt. Im Jahr 2009 erwarb er von dem Gesellschafter S weitere 50 % der Geschäftsanteile an der M-GmbH. Zugleich trat S eine ihm gegen die M-GmbH zustehende Forderung aus einem Gesellschafterdarlehen in Höhe von 79.684,76 € an den Kläger ab. Der hierfür vom Kläger zu zahlende Kaufpreis betrug 1 €.

Zum 31. Dezember 2013 erlosch die Darlehensforderung des Klägers, die zu diesem Zeitpunkt weiterhin in Höhe von 79.684,76 € valutierte, durch Aufrechnung der M-GmbH mit einer ihr gegenüber dem Kläger in gleicher Höhe zustehenden Forderung.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger aus seiner Beteiligung an der M-GmbH ausschließlich laufende Kapitalerträge in Höhe von 2.701 €, die der tariflichen Einkommensteuer unterlagen.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, der Kläger habe aufgrund der Verrechnung der Forderungen zum 31. Dezember 2013 einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) in Höhe von 79.683 € erzielt, der nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG der tariflichen Einkommensteuer unterliege.

Die Klage vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg gegen diese Auffassung hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem von S erworbenen Darlehensanspruch des Klägers gegen die M-GmbH um eine sonstige Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG handelt.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger das Darlehen nicht selbst an die M-GmbH ausgereicht hat, sondern den Rückzahlungsanspruch im Wege der Abtretung von S als Darlehensgeber erworben hat. Auch eine erworbene Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist Gegenstand des Besteuerungstatbestands gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 EStG (so auch BMF, Schreiben vom 03. Juni 2021, IV C 1-S 2252/19/10003:002, BStBl I 2021, 723, Rz 61a).

Die Aufrechnung des Schuldners der Kapitalforderung mit einer ihm gegen den Gläubiger zustehenden Gegenforderung führt ‑ebenso wie die tatsächliche Zahlung des geschuldeten Kapitalbetrags durch den Schuldner‑ zur zivilrechtlichen Erfüllung der Forderung und damit zu einer "Rückzahlung" i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG. Denn die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken und ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, als in dem Zeitpunkt als erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB).

Der Aufrechnung kommt insofern die Funktion eines Erfüllungssurrogats zu. Sie steht damit der Erfüllung durch Zahlung des geschuldeten Kapitalbetrags durch den Schuldner (§ 362 Abs. 1 BGB) gleich. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung macht es keinen Unterschied, ob der Schuldner der Forderung den geschuldeten Kapitalbetrag an den Gläubiger zahlt und dieser mit dem erhaltenen Betrag eine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner erfüllt oder ob der Schuldner in Abkürzung des Zahlungswegs unmittelbar mit seiner Forderung gegen diese Verbindlichkeit aufrechnet. Im Falle einer Aufrechnung realisiert der Gläubiger seine Forderung ebenfalls, da er in der Höhe, in der sich die Forderungen decken, von einer eigenen Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner befreit wird.

Das Finanzgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die von dem Kläger erzielten Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 EStG der tariflichen Einkommensteuer nach § 32a EStG unterliegen, da die Anwendung des gesonderten Tarifs ausgeschlossen ist. Denn die Kapitalerträge wurden i.S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG von einer Kapitalgesellschaft gezahlt, an der der Kläger im Streitjahr zu mindestens 10 % beteiligt war.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Regelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG auch nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die Norm in den Fällen nicht zur Anwendung gelangt, in denen die Zahlung der Kapitalerträge durch eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, auf Ebene der Gesellschaft erfolgsneutral ist und daher nicht zu entsprechenden Aufwendungen bei ihr führt.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 30. November 2022 (VIII R 27/19), veröffentlicht am 2. Februar 2023.

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