EuGH-Vorlage zur Besteuerung von Gutscheinen

Was sind die umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen eines nach dem 31.12.2018 ausgestellten Gutscheins über eine elektronische Dienstleistung in einer Leistungskette? Der Bundesfinanzhof hat die Frage, ob die Übertragung von Guthabenkarten oder Gutscheincodes für den Erwerb digitaler Inhalte für das X-Network (X), sogenannten (sog.) X-Cards, der Umsatzsteuer unterliegt, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Hintergrund + Sachverhalt

Bereits die Ausgabe eines Einzweck-Gutscheins stellt eine Lieferung bzw. sonstige Leistung dar, die der Umsatzsteuer unterliegt. Die spätere Einlösung hat keine weiteren Konsequenzen. Die Ausgabe von Mehrzweck-Gutscheinen führt hingegen nicht zu einem Leistungsaustausch, sondern erst bei tatsächlicher Leistungserbringung im Zeitpunkt der Gutscheineinlösung.

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, vertrieb in 2019 (Streitjahr) über ihren Internetshop Guthabenkarten oder Gutscheincodes zum Aufladen von Nutzerkonten für X. Herausgeber der X-Cards war im Streitjahr Y mit Sitz in London. Die Gutscheincodes ermöglichten dem Erwerber die Aufladung seines X-Nutzerkontos mit einem näher bestimmten Nennwert in Euro. Nach der Kontoaufladung konnten vom Kontoinhaber im X-Store von Y digitale Inhalte zu den dort angeführten Preisen erworben werden.

Die X-Cards wurden von Y mit unterschiedlicher Länderkennung über verschiedene Zwischenhändler vertrieben. Im Streitjahr bezog die Klägerin die X-Cards der Y von Lieferanten aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet (L1 und L2) unter Angabe ihrer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. L1 und L2, die weder im Vereinigten Königreich noch im Inland, sondern in anderen Mitgliedstaaten ansässig waren, hatten die X-Cards zuvor von X erworben. Die Klägerin erfasste in ihren Steueranmeldungen weder den Erwerb der X-Cards von L1 und L2 noch die Übertragung der X-Cards an die Endkunden (Endverbraucher). Sie ging dabei davon aus, dass es sich bei den X-Cards um Wert- oder Mehrzweck-Gutscheine handele.

Das Finanzamt ordnete die Karten u.a. als Waren- oder Einzweckgutscheine ein. Dafür spreche auch, dass Y die Karten als solche in den Verkehr gebracht habe und diese in der weiteren Leistungskette von allen anderen Beteiligten auch so behandelt worden seien.

Vorlagebeschluss des BFH

Durch Beschluss vom 16.08.2022 - XI S 4/21 (AdV) hat der BFH wegen ernstlicher Zweifel Aussetzung der Vollziehung gewährt (siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 6. September 2022).

Mit seiner aktuellen Vorlagefrage will der BFH u.a. für den Fall der mehrfachen Übertragung eines Gutscheins klären, ob sich das Erfordernis beim Einzweck-Gutschein, dass der Ort der Leistung feststehen muss, auch auf die Übertragung zwischen Steuerpflichtigen ("Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern"), also den Übertragungsumsatz, beziehen muss:

Für den BFH bestehen Auslegungsschwierigkeiten dahingehend, dass ein im Inland ansässiger A den Gutschein im eigenen Namen auf den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen B (als Zwischenhändler) überträgt, der diesen seinerseits im eigenen Namen auf den gleichfalls im Inland ansässigen C überträgt. Nach Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL komme es dann zu einer Umsatzverdoppelung. Fraglich ist insofern, welche Folgen sich ergeben. Denn damit ein Einzweck-Gutschein i.S. von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL vorliegt, muss der Ort der Dienstleistung, auf den sich der Gutschein bezieht, feststehen. Für den Fall der mehrfachen Gutscheinübertragung folge aus Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL aber, dass die Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, als mehrfach erbracht gilt.

Die Vorlagefragen:

1. Liegt ein Einzweck-Gutschein i.S. von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL vor, wenn

- zwar der Ort der Erbringung von Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht, insoweit feststeht, als diese Dienstleistungen im Gebiet eines Mitgliedstaats an Endverbraucher erbracht werden sollen,

- aber die Fiktion des Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL, nach der auch die Übertragung des Gutscheins zwischen Steuerpflichtigen zur Erbringung der Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, zu einer Dienstleistung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats führt?

2. Falls die Frage 1 verneint wird (und damit im Streitfall ein Mehrzweck-Gutschein vorliegt): Steht Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL, wonach die tatsächliche Erbringung der Dienstleistungen, für die der Erbringer der Dienstleistungen einen Mehrzweck-Gutschein als Gegenleistung oder Teil einer solchen annimmt, der Mehrwertsteuer gemäß Art. 2 MwStSystRL unterliegt, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, einer anderweitig begründeten Steuerpflicht (EuGH-Urteil Lebara vom 03.05.2012 - C-520/10) entgegen?

Fundstelle

BFH, EuGH-Vorlage vom 03. November 2022, XI R 21/21 – veröffentlicht am 9. Februar 2023.

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