Verfassungsmäßigkeit des in § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG enthaltenen Anwendungsbefehls, welcher die Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 bis 7 EStG für alle Wirtschaftsjahre nach dem 31. Dezember 1998 regelt

Mit mehreren Urteilen hat das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht entschieden, dass gegen den in § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG enthaltenen Anwendungsbefehl, welcher die Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 bis 7 EStG für alle Wirtschaftsjahre nach dem 31. Dezember 1998 regelt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, da es sich nicht um eine echte Rückwirkung handelt. Der Gesetzgeber habe mittels der neu eingefügten Sätze 5 bis 7 des § 5a Abs. 4 EStG vielmehr die bestehende, über Jahrzehnte geübte Verwaltungspraxis formal in Gesetzesform gegossen und ihre Anwendbarkeit für alle Wirtschaftsjahre nach dem 31. Dezember 1998 sichergestellt.

Hintergrund

Gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ist ein nach Maßgabe des § 5a Abs. 4 Satz 1 EStG ermittelter und nach Satz 2 gesondert und einheitlich festgestellter Unterschiedsbetrag in dem Jahr des Ausscheidens eines Gesellschafters hinsichtlich des auf ihn entfallenden Anteils aufzulösen und dem Gewinn hinzuzurechnen. Der aufzulösende Betrag wird dem Gewinnanteil desjenigen Mitunternehmers anlässlich seines Ausscheidens aus der Gesellschaft zugerechnet, für den im Feststellungsbescheid nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG entsprechende Anteile an Unterschiedsbeträgen festgestellt wurden.

Nach der jahrzehntelang geltenden Verwaltungsauffassung und -praxis ging der Unterschiedsbetrag bei einer Buchwertfortführung auf den Rechtsnachfolger über. Entsprechend erfolgte beim Rechtsvorgänger keine Hinzurechnung (BMF-Schreiben vom 12. Juni 2002 - IV A 6 - S 2133a - 11/02, BStBl. I 2002, 614, Rd. 28, in der Fassung des BMF-Schreibens vom 31. August 2008 - IV C 6 - S 2133-a/07/10001, BStBl. I 2008, 956). Diese sich im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut befindliche Anwendungspraxis hatte ihren Hintergrund in einer sachlichen Billigkeit, weil anderenfalls in den Fällen eine erhebliche Schlechterstellung vorgelegen hätte, in denen die Sonderabschreibung nach § 82 f EStDV in Anspruch genommen worden war.

Nach dem Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2017, 2 K 277/16 (EFG 2018, 655-658), sollte der Unterschiedsbetrag bei steuerneutralen Anteilsübertragungen zu Buchwerten (§ 6 Abs. 3 EStG, § 24 UmwStG) hingegen nicht auf den Rechtsnachfolger des Gesellschafters übergehen. Der BFH hatte mit Urteilen vom 28. November 2019 (IV R 28/19, BFHE 266, 305) und vom 29. April 2020 (IV R 17/19, BFH/NV 2020, 1058- 1060) diese vom Finanzgericht Hamburg vertretene Ausfassung bestätigt und entschieden, dass der in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG angeführte Tatbestand des Ausscheidens eines Gesellschafters auch Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG umfasse: Der Begriff des Ausscheidens in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG umfasse jedes Ausscheiden eines Gesellschafters, d.h. jeden Verlust der (unmittelbaren) Mitunternehmerstellung, unabhängig davon, ob der Gesellschafter unentgeltlich oder entgeltlich, im Wege der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge ausscheide. Danach scheide auch derjenige im Sinne des § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG aus, der seinen Anteil unentgeltlich auf einen anderen übertrage, sei es im Wege der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge (BFHUrteil vom 1. Oktober 2020, IV R 4/18, BFHE 271, 154).

Richterliche Entscheidung

Die Neufassung des § 5a Abs. 4 EStG durch das Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz - AbzStEntModG) vom 2. Juni 2021 (BGBl. I 2021, 1259) stellt nach Auffassung des Finanzgerichts Schleswig-Holstein eine Reaktion des Gesetzgebers auf diese Rechtsprechung dar. In Bezug auf § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG habe der Gesetzgeber klargestellt, dass eine Minderung einer Beteiligung eines Gesellschafters lediglich zu einer entsprechenden anteiligen Hinzurechnung des Unterschiedsbetrages führe.

In den neu eingefügten Sätzen 5 und 6 des 4. Absatzes werde für unentgeltliche Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG geregelt, dass in Fällen einer Übertragung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Anteils eines Mitunternehmers an einem Betrieb zum Buchwert der Unterschiedsbetrag insoweit auf den Rechtsnachfolger übergehe und beim Übertragenden entsprechend keine Hinzurechnung erfolge. Damit werde die bisherige Verwaltungsauffassung und -praxis in Gesetzesform gegossen.

Schließlich werde unter Bezugnahme auf § 182 Abs. 2 Satz 1 AO klargestellt, dass ein gegenüber dem Rechtsvorgänger festgestellter Unterschiedsbetrag in den Fällen, in denen er beim Rechtsvorgänger nicht hinzuzurechnen sei, ohne gesonderten Verwaltungsakt gegenüber dem Rechtsnachfolger wirke.

Hinweis

Das Finanzgericht Hamburg vertritt eine andere Rechtsauffassung, siehe unseren Blogbeitrag.

Fundstelle

Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteile vom 27. April 2022 (5 K 46/21 und 5 K 47/21 – beide deckungsgleich – sowie 5 K 48/21), die Revisionen sind beim BFH unter den Aktenzeichen IV R 12/22, IV R 13/22 und IV R 14/22; siehe den Newsletter III/2022 des Finanzgerichts.

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