EuGH: Schlussanträge in zweitem Vorlagefall zur Differenzbesteuerung

In seinen Schlussanträgen hält der Generalanwalt daran fest, dass die Mehrwertsteuer, die ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands bezahlt hat und dessen spätere Lieferung der Differenzbesteuerung unterliegt, in die Steuerbemessungsgrundlage der späteren Lieferung einbezogen wird. Seines Erachtens war es ein Fehler nicht die Steuer auszunehmen, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer beim Erwerb des Gegenstands unmittelbar an den Fiskus entrichtet hat. Die hier bestehende Lücke im EU-Recht könne nur durch ein Eingreifen des Unionsgesetzgebers behoben werden.

Hintergrund

Streitig ist, ob bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die vom Kläger zuvor von den Künstlern innergemeinschaftlich erworben wurden, die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb die zu besteuernde Handelsspanne (Marge) mindert. Diese Lieferungen wurden von den Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Der Kläger versteuerte die innergemeinschaftlichen Erwerbe mit dem ermäßigten Steuersatz. Das Finanzamt verweigerte die Anwendung der Differenzbesteuerung.

Nachdem der EuGH auf Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Münster entschieden hatte (EuGH-Urteil vom 29. November 2018, Rechtssache C-264/17 Mensing) gab das Finanzgericht der Klage mit Urteil vom 07.11.2019 Az. 5 K 177/16 U statt. Danach müsse die Differenzbesteuerung auf die streitbefangenen Umsätze angewandt werden und sei die innergemeinschaftlichen Erwerbe betreffende Steuer margenmindernd als Bestandteil der Einkaufspreise zu berücksichtigen.

Das Finanzamt hat Revision vor dem BFH eingelegt und bringt im Kern vor, die Umsatzsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb mindere die zu besteuernde Marge nicht. Das Problem ergibt sich für das Finanzamt aus der Tatsache, dass der Generalanwalt im Verfahren Mensing I der Auffassung war, dass die MwStSystRL keine Regelung dazu enthalte, ob die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb vom Wiederverkäufer (dem Kläger) geschuldete Steuer zum Einkaufspreis des jeweiligen Kunstgegenstands gehört und damit die der Besteuerung zu unterwerfende Handelsspanne mindert.

BFH mit erneutem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH

Der BFH ist im Rahmen der Beurteilung nach nationalem Recht der Ansicht, dass eine Berücksichtigung der streitigen Umsatzsteuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Differenzbesteuerung aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG möglich ist. Jedoch ist fraglich, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts erfolgen kann, wenn sich die Differenzbesteuerung an sich nach Unionsrecht richtet (BFH-Beschluss vom 20. Oktober 2021, XI R 2/20).

Schlussanträge des Generalanwalts (GA)

Der GA schlägt dem Gericht vor, die Vorlagefragen des BFH dahingehend zu beantworten, dass die Mehrwertsteuer, die ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands entrichtet hat, dessen spätere Lieferung durch diesen steuerpflichtigen Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung gemäß Art. 316 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie unterliegt, in die Steuerbemessungsgrundlage dieser späteren Lieferung einzubeziehen ist. Seines Erachtens ist die erste Vorlagefrage des BFH gegenstandslos und brauchte nicht beantwortet zu werden.

Begründung (Kurzfassung):

Nach Ansicht des GA gebe es hier keinen Beurteilungsspielraum, der es erlauben würde – wie vom BFH in seinem Beschluss vorgeschlagen – von der Steuerbemessungsgrundlage auch die Mehrwertsteuer auszunehmen, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer unmittelbar an den Fiskus auf den Umsatz gezahlt hat, der auf der früheren Stufe getätigt wurde. Wenn in Art. 315 Abs. 1 von dem Betrag „der auf diese Spanne erhobenen“ Mehrwertsteuer die Rede ist, dann ist damit keinesfalls die Steuer gemeint, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf den Erwerb des Gegenstands gezahlt hat, da diese Steuer auf den Preis für den Erwerb dieses Gegenstands „erhoben“ wird, d. h. auf einen Betrag, der kein Bestandteil der Handelsspanne ist.

Die vom BFH zitierte Rn. 46 des Urteils Mensing ändert nichts an diesem Ergebnis. Hier habe der EuGH lediglich festgestellt, dass bei Anwendung der Differenzbesteuerung anders als im Fall der normalen Regelung der Einkaufspreis, den der steuerpflichtige Wiederverkäufer für den Gegenstand gezahlt hat, den er anschließend liefert, keinen Bestandteil der Steuerbemessungsgrundlage dieses Umsatzes darstellt, so dass diesem Steuerpflichtigen auch nicht das Recht eingeräumt werden kann, die Mehrwertsteuer, die er auf den Erwerb dieses Gegenstands gezahlt hat, von der Steuer abzuziehen, die auf seinen eigenen Umsatz anfällt. Daraus folge jedoch nicht, dass die vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb eines Gegenstands, der später unter Anwendung der Differenzbesteuerung geliefert wurde, gezahlte Mehrwertsteuer entgegen dem eindeutigen Wortlaut von Art. 315 der Richtlinie 2006/112 von der Steuerbemessungsgrundlage dieses Umsatzes ausgenommen bleibt. Der Gerichtshof, so der GA, habe sich zu dieser Frage überhaupt nicht geäußert, da sie nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache war, in der das damalige Urteil Mensing ergangen ist.

Der GA ist daher der Ansicht, dass sich aus der Richtlinie 2006/112 eindeutig ergibt, dass die von einem steuerpflichtigen Wiederverkäufer auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands, der später unter Anwendung der Differenzbesteuerung geliefert wurde, gezahlte Mehrwertsteuer kein Bestandteil des Einkaufspreises ist und es keine Gründe gibt, den Betrag dieser Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage der späteren Lieferung auszunehmen.

Gleichwohl sei es ein Fehler des Unionsgesetzgebers, von der Steuerbemessungsgrundlage für eine differenzbesteuerte Lieferung nicht die Steuer auszunehmen, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer beim Erwerb des Gegenstands jenes Umsatzes unmittelbar an den Fiskus entrichtet hat. Die hier bestehende Lücke im EU-Recht könne nur durch ein Eingreifen des Unionsgesetzgebers behoben werden. Dies könnte auch das Problem der Doppelbesteuerung in Fällen der umgekehrten Steuerschuldnerschaft bei der Lieferung eines Gegenstands an den steuerpflichtigen Wiederverkäufer lösen, dessen Weiterlieferung durch den steuerpflichtigen Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung unterliegt. Dieses Problem kann der Gerichtshof durch das Urteil in der vorliegenden Rechtssache nicht lösen, da dieses, dem Gegenstand der Vorlagefragen entsprechend, zwingend auf die Frage der Steuer beschränkt bleiben muss, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands entrichtet hat.

Fundstelle

EuGH, Schlussanträge vom 23. März 2023 in der Rechtssache C‑180/22 Mensing II

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