EuGH-Schlussanträge: Dienstleistungsrichtlinie und Genehmigungspflicht für Leasing

In seinen Schlussanträgen hat der Generalanwalt dem EuGH in einem kroatischen Fall empfohlen zu entscheiden, dass ein Unternehmen, welches Kraftfahrzeuge an seine Kunden verleast, behördlich nicht verpflichtet werden kann, seine Tätigkeiten aufgrund des Nichtvorliegens einer gültigen Genehmigung zur Erbringung von Finanzdienstleistungen einzustellen. Im Fokus steht die Anwendung der sogenannten Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG).

Hintergrund

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123/EG, die auch als „die Dienstleistungsrichtlinie“ bezeichnet wird. Diese hat die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts im Bereich der Dienstleistungen zum Ziel. Hierzu wurden rechtliche und bürokratische Hürden im Dienstleistungsbereich abgebaut. Es wurde sowohl für Dienstleistungserbringer als auch -empfänger Transparenz im Binnenmarkt geschaffen.

Die Richtlinie findet u.a. keine Anwendung auf

Finanzdienstleistungen wie Bankdienstleistungen und sonstige Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung (…). einschließlich der in Anhang I der Richtlinie 2006/48/EG aufgeführten Dienstleistungen (Art. 2 Abs. 2 Buchst. B).

Sachverhalt

Ein Unternehmen (Autotechnica), das Kraftfahrzeuge an seine Kunden verleast, wurde von der kroatischen Agentur für Finanzdienstleistungsaufsicht verpflichtet, seine Tätigkeiten aufgrund des Nichtvorliegens einer gültigen Genehmigung zur Erbringung von Finanzdienstleistungen einzustellen. Das Unternehmen hatte drei Verträge über eine Langzeitmiete (für vier Fahrzeuge) abgeschlossen, wobei sie die Fahrzeuge nach Vertragsschluss entsprechend dem spezifischen Wunsch ihrer Kunden vom betreffenden Lieferanten käuflich erwarb, wodurch sie deren Eigentümerin wurde, und sodann den Kunden zur Nutzung überließ. Die Agentur kam zu dem Schluss, dass Autotechnica im Grunde Leasingleistungen ohne gültige Genehmigung erbracht habe.

Schlussanträge des Generalanwalts (GA)

Der GA ist der Auffassung, dass Tätigkeiten der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art, die in der Erbringung eines sogenannten operativen Leasings bestehen, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123 nicht ausgenommen sind; sie stellen keine Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie dar. Daher darf ein Mitgliedstaat keine von einer für die Finanzmarktaufsicht zuständigen Behörde verwaltete Genehmigungsregelung vorsehen.

Begründung des GA:

Ausgehend davon, dass Autotechnica keine Finanzdienstleistungen erbringt, dürfte nach Meinung des GA in Frage gestellt werden, der Agentur die Befugnis zu übertragen, Unternehmen, die Dienstleistungen des operativen Leasings erbringen, Genehmigungen zu erteilen, und Unternehmen zur Einstellung ihrer Tätigkeit aufzufordern. Es sei schwer nachvollziehbar, warum eine für die Finanzmarktaufsicht zuständige Behörde an "so harmlosen Tätigkeiten wie dem operativen Leasing von Kraftfahrzeugen" beteiligt sein sollte.

Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 dürfen die Mitgliedstaaten die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: a) Die Genehmigungsregelungen sind für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend, b) die Genehmigungsregelungen sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, und c) das angestrebte Ziel kann nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.

Diese Fragen abschließend zu prüfen, sollte Sache des vorlegenden Gerichts sein. Der GA gibt hierzu allerdings einige Hinweise:

Erstens liege, mangels Informationen dazu, wie Wettbewerber von Autotechnica durch die Agentur in Bezug auf die Frage der Genehmigung behandelt werden, offenbar keine Diskriminierung von Autotechnica in Kroatien vor.

Zweitens: Der Verbraucherschutz gehört grundsätzlich zu den in der Richtlinie 2006/123 ausdrücklich anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses. Im Fall einer Finanzdienstleistung ist ein Verbraucher eindeutig in dem Sinne schutzwürdig, dass für ihn das Risiko einer Überschuldung besteht, wenn kein ausreichender Schutz vorgesehen ist. Da im Gegensatz dazu das operative Leasing keine Finanzdienstleistung darstellt und kein Risiko einer Überschuldung des Verbrauchers besteht, ist schwer nachvollziehbar, warum ein Verbraucher auf der Grundlage der Bestimmungen der Richtlinie 2006/123 geschützt werden müsste.

Drittens ist für den GA nicht ersichtlich, inwieweit die Voraussetzung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 erfüllt sein sollte, nämlich dass das Ziel des Verbraucherschutzes nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, wie etwa eine nachträgliche Kontrolle. Es ist nicht nachgewiesen worden, warum eine Vorab-Kontrolle erforderlich sein sollte.

Die ausführliche Schlussanträge vom 11. Mai 2023 in der Rechtssache C- 278/22 AUTOTECHNICA FLEET SERVICES finden Sie hier.

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