Versagung der Erbschaftsteuervergünstigung für in Drittstaaten vermietete Grundstücke nicht mit EU-Recht vereinbar

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Steuervergünstigung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke des Privatvermögens (Wertansatz nur zu 90% des Grundbesitzwerts) dadurch gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV verstößt, dass Grundstücke, die nicht in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR belegen sind, von der Vergünstigung ausgeschlossen werden.

Hintergrund

Das Finanzgericht Köln hatte Zweifel, ob es mit Art. 63 ff. AEUV vereinbar ist, dass der Erwerb eines bebauten und vermieteten Grundstücks des Privatvermögens, welches in einem Drittstaat (hier: Kanada) belegen ist, von der Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13c Abs. 3 i.V.m. § 13c Abs. 1 Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) 2009 ausgeschlossen ist. Es folgte mit seinem Vorlagebeschluss insoweit der Argumentation des Klägers. Mehr zum Vorlagebeschluss und dem zugrunde liegenden Sachverhalt lesen Sie in unserem Blogbeitrag vom 22. Februar 2023.

In seinen Schlussanträgen hatte Generalanwalt (GA) Collins angeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzung der Belegenheit eines Vermögensgegenstandes in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR für Zwecke der Gewährung einer Vergünstigung bei der Veranlagung zur Erbschaftsteuer grundsätzlich eine verbotene Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) darstellt. Darüber hinaus füge sich der Kapitalverkehr mit Drittstaaten in einen anderen rechtlichen Rahmen ein als der Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (oder mit dem EWR). Ein Mitgliedstaat könne grds. den Beweis anführen, dass eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit mit Drittstaaten aus einem Grund gerechtfertigt ist, der nicht zwangsläufig eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten rechtfertigen würde.

Entscheidung des EuGH

Im Gegensatz zu den Empfehlungen des GA sieht der EuGH keine Rechtfertigungsgründe für die unzweifelhaft vorliegende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs. Die durch GA Collins angeführte Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, sei hingegen schon nicht einschlägig, weil Deutschland im DBA mit Kanada (Art. 26 Abs. 1 und 4) eine große Auskunftsklausel vereinbart habe, die es Deutschland ermögliche, die zur Anwendung der Steuervergünstigung nötigen Informationen von den kanadischen Steuerbehörden zu erlangen.

Keine Rechtfertigungsgründe für die festgestellte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

Eine nationale Steuerregelung kann nur dann als mit den Bestimmungen des freien Kapitalverkehrs vereinbar angesehen werden, wenn die sich aus ihr ergebende Ungleichbehandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

Die unterschiedliche Behandlung, um die es im Ausgangsverfahren geht, betrifft Situationen, die objektiv vergleichbar sind. Bei der Berechnung der Erbschaftsteuer wurde unmittelbar der gemeine Wert der zum Nachlass zählenden Grundstücke zugrunde gelegt wird, so dass hinsichtlich der Situationen objektiv keine Unterschiede bestehen, die eine steuerliche Ungleichbehandlung in Bezug auf die Höhe der Erbschaftsteuer, je nachdem, ob ein Grundstück im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Staat, der Partei des EWR-Abkommens ist, oder in einem Drittstaat, der nicht Partei des EWR-Abkommens ist, belegen ist, rechtfertigen könnten. Im Übrigen, so der EuGH, würde Art. 63 Abs. 1 AEUV ausgehöhlt, wenn man Situationen allein deshalb für nicht vergleichbar hielte, weil das betreffende Grundstück in einem Drittstaat, der nicht Partei des EWR-Abkommens ist, belegen ist.

Die deutsche Regierung hatte u. a. geltend gemacht, dass die durch die in Rede stehende nationale Regelung bedingte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs durch zwei zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei: zum einen aus Gründen der sozialen Wohnungspolitik eines Mitgliedstaats und zum anderen wegen der Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten.

Ein Ziel der Sozialpolitik wie die Förderung und Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in den Mitgliedstaaten und den Staaten, die Parteien des EWR-Abkommens sind, kommt zwar grundsätzlich als zwingender Grund des Allgemeininteresses in Betracht. Allerdings muss die durch die in Rede stehende Beschränkung geeignet sein, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Insoweit stellt der EuGH fest, dass § 13c Abs. 1 und 3 ErbStG, der bei Grundstücken, die zu Wohnzwecken vermietet werden, danach unterscheidet, ob sie im Inland, in der Union oder im EWR oder in einem Drittstaat, der nicht Partei des EWR-Abkommens ist, belegen sind, nicht geeignet sein dürfte, die Erreichung des von der deutschen Regierung angeführten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten. § 13c ErbStG gilt nämlich nicht speziell für Orte mit einer besonders großen Wohnungsnot, wie sie etwa in deutschen Großstädten herrscht, sondern ganz allgemein, nämlich in den Staaten, die Parteien des EWR-Abkommens sind, ohne dass es darauf ankommt, ob das Grundstück in einem ländlichen Gebiet oder in einer Stadt belegen ist.

Auch die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, vermag die hier in Rede stehende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nicht zu rechtfertigen, denn in Fällen, in denen das Grundstück in Kanada belegen ist, können die deutschen Behörden von den kanadischen Behörden ohne Schwierigkeiten die erforderlichen Informationen erlangen, um im Hinblick auf die Gewährung der betreffenden Steuervergünstigung prüfen zu können, ob die Voraussetzungen des § 13c ErbStG erfüllt sind.

Fundstelle

EuGH-Urteil vom 12. Oktober 2023 (C-670/21), BA (Successions - Politique sociale de logement dans l’Union)

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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