Verpflichtung zur Zahlung des Gesamtbetrags bei vorzeitiger Vertragsbeendigung durch Werkbesteller unterliegt der Mehrwertsteuer

Der Europäische Gerichtshof hat sich in einem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen mit der Frage beschäftigt, ob ein zwischen zwei Parteien aufgrund eines Werkvertrages vereinbarter Betrag für den Bau eines Immobilienprojekts, der geschuldet war nachdem der Werkbesteller ein bereits begonnenes Bauvorhaben ungerechtfertigt beendet hatte, ein mehrwertsteuerpflichtiges Entgelt darstellt oder ob hierin überhaupt kein steuerlich relevanter Leistungsaustausch stattgefunden hat. Nach Dafürhalten des EuGH handelt es sich bei dem vertraglich geschuldeten Betrag um Entgelt für eine Dienstleistung Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie.

Die Vorlagefrage

Unterliegt der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer?

Sachverhalt

Im März 2018 schlossen rhtb: projekt gmbh (Kläger im Ausgangsverfahren) und Parkring 14-16 Immobilienverwaltung GmbH einen Werkvertrag, wonach rhtb den Bau eines Immobilienprojekts durchführen sollte. Nach Beginn der Arbeiten teilte Parkring rhtb im Juni 2018 mit, dass sie aus von rhtb nicht zu vertretenden Gründen nicht mehr wünsche, dass rhtb dieses Projekt durchführe.

Das erstinstanzliche nationale Gericht hatte der Klage von rhtb mit der Begründung stattgegeben, dass Parkring ungerechtfertigt vom Vertrag zurückgetreten sei. Es entschied, dass der Betrag, der für die Arbeiten zu zahlen sei, die aufgrund der Beendigung des Vertrags nicht hätten ausgeführt werden können, der Mehrwertsteuer unterliege. Das Berufungsgericht entschied hingegen, dass der Betrag, der für die nicht ausgeführten Arbeiten zu zahlen sei, nicht der Mehrwertsteuer unterliege, da zwischen den Vertragsparteien kein Leistungsaustausch stattgefunden habe.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass der Betrag, der vertraglich geschuldet wird, weil der Empfänger einer Dienstleistung einen wirksam geschlossenen Vertrag über die Erbringung dieser mehrwertsteuerpflichtigen Dienstleistung – deren Ausführung der Dienstleistungserbringer begonnen hatte und zu deren Fertigstellung er bereit war –, beendigt hat, als Entgelt für eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne der Richtlinie 2006/112 anzusehen ist.

Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass ein im Vorhinein festgelegter Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer bestimmten Laufzeit durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den der Wirtschaftsteilnehmer ohne die vorzeitige Beendigung während der Laufzeit erhalten hätte, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt, selbst wenn die Beendigung u. a. die Deaktivierung der vertragsgegenständlichen Dienste vor dem Ende der vereinbarten Laufzeit zur Folge hatte (u. a. EuGH-Urteil vom 11. Juni 2020 C-43/19 Vodafone Portugal, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach Auffassung des EuGH liege im vorliegenden Ausgangsverfahren eine individualisierbare Dienstleistung vor. Der Dienstleister habe außerdem mit den vereinbarten Arbeiten begonnen und war bereit, diese vollständig auszuführen, um den Vertrag ordnungsgemäß zu beenden. Dass dies nicht geschehen ist, lag daran, dass der Begünstigte die Leistungen des Dienstleisters aus von diesem nicht zu vertretenden Gründen nicht mehr in Anspruch nehmen wollte. Zudem entspreche der dem Dienstleister zu zahlende Betrag dem vertraglich für die vollständige Ausführung der Dienstleistung vorgesehenen Betrag. Dieser stelle insoweit auch keinen pauschalen Schadensersatz dar, mit dem ein entstandener Schaden ersetzt werden soll.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 28. November 2024 C-622/23 rhtb.

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