Erschütterung des Anscheinsbeweises für eine private Fahrzeugnutzung

Bei der Prüfung, ob der für eine private Nutzung betrieblicher Fahrzeuge herangezogene Anscheinsbeweis erschüttert ist, müssen sämtliche Umstände berücksichtigt werden. Ein Fahrtenbuch darf nicht von vornherein mit der Begründung außer Betracht gelassen werden, es handele sich um ein nicht ordnungsgemäßes Fahrtenbuch. Dies hat der Bundesfinanzhof in einem aktuellen Urteil entschieden.

Hintergrund

Der Kläger war als freiberuflich als Prüfsachverständiger zuständig. Er hatte im Betriebsvermögen in den Streitjahren 2011 bis 2013 zwei zu mehr als 50% betrieblich genutzte Leasingfahrzeuge (ein BMW 740 DX-Drive und ein Lamborghini Aventador). Zum Privatvermögen des Klägers gehörten ein Ferrari 360 Modena Spider und ein Jeep Commander. Der Kläger machte die Leasingzahlungen und sonstigen Aufwendungen der Leasingfahrzeuge als Betriebsausgaben geltend. Er führte für beide Fahrzeuge handschriftlich Fahrtenbücher, aus denen sich nach seiner Auffassung ergab, dass die Fahrzeuge ausschließlich betrieblich genutzt worden waren. Demnach erklärte er keine Nutzungsentnahme für Privatfahrten.

In Bezug auf die Aufwendungen für die Leasing-Fahrzeuge ging das Finanzamt nach einer Betriebsprüfung davon aus, dass die Leasingkosten für den Lamborghini nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) um 2/3 zu kürzen seien. Des Weiteren teilte das Finanzamt dem Kläger mit, es beabsichtige, die Einkommensteuer zum Nachteil des Klägers höher festzusetzen, weil bisher nicht berücksichtigte Entnahmen für die Privatnutzung des Lamborghini sowie des BMW anzusetzen seien. Die Fahrtenbücher für die Fahrzeuge seien nicht lesbar und deshalb nicht anzuerkennen. Es ging von einer Entnahme für die private Nutzung des Lamborghini aus, die grundsätzlich mit monatlich 1 % von 279.831,93 € netto ab November 2012 zu bewerten sei. Das Finanzgericht hatte die Erhöhung der Einnahmen durch das Finanzamt bestätigt.

Entscheidung des BFH

Die Revision des Klägers ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht. Soweit das Finanzgericht die Erhöhung der Einnahmen des Klägers aus selbständiger Arbeit um Entnahmen für die private Nutzung des BMW und des Lamborghini als rechtmäßig beurteilt hat, hält die Beurteilung der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Finanzgericht hat der Prüfung, ob der Kläger den für eine Privatnutzung der Fahrzeuge sprechenden Anscheinsbeweis erschüttert hat, ein unzutreffendes Beweismaß zugrunde gelegt.

Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Der Beweis des ersten Anscheins kann erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Kläger muss nicht beweisen, dass eine private Nutzung der von der Anscheinsbeweisregel erfassten Fahrzeuge nicht stattgefunden hat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt.

Der Beweis des ersten Anscheins für eine private Nutzung betrieblicher Fahrzeuge wird im Regelfall noch nicht erschüttert, wenn lediglich behauptet wird, für privat veranlasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden. Er kann aber erschüttert sein, wenn für private Fahrten ein anderes Fahrzeug zur Verfügung steht, das dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar ist. Entsprechendes gilt, wenn im Privatvermögen und im betrieblichen Bereich jeweils mehrere Fahrzeuge zur Verfügung stehen.

Das Finanzgericht hat nicht nur den vom Kläger vorgebrachten Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Unter Umständen müssen auch zusätzliche, für die Privatnutzung sprechende Umstände aufgeklärt und berücksichtigt werden.

Rechtsfehlerhaft hat das Finanzgericht angenommen, der für eine Privatnutzung der betrieblichen Leasing-Fahrzeuge sprechende Anschein könne nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch erschüttert werden. Wird zur Erschütterung des Anscheinsbeweises vom Kläger (substantiiert) vorgetragen, die Fahrzeuge seien ausschließlich betrieblich genutzt worden, muss das Finanzgericht den Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen aufklären und bei seiner Würdigung sämtliche Umstände berücksichtigen. Damit ist es nicht vereinbar, handschriftliche Aufzeichnungen über die Nutzung der Fahrzeuge mit der Begründung von vornherein unberücksichtigt zu lassen, sie erfüllten nicht die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch.

Anmerkung: Hinsichtlich der Unangemessenheit der Fahrzeugaufwendungen für den Lamborghini habe das Finanzgericht in seiner Entscheidung grundsätzlich den zutreffenden Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt, so der BFH.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 22. Oktober 2024, VIII R 12/21 – veröffentlicht am 19. Dezember 2024.

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