EuGH: Umsatzsteuerliche Behandlung der Dienstleistungen durch mobile Apps
Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Bundesfinanzhofs hat der Europäische Gerichtshof zur umsatzsteuerlichen Behandlung von In-App-Käufen Stellung genommen. Der Streitfall betrifft die Rechtslage bis zum 31.12.2014. Mit seinem aktuellen Urteil stellt der EuGH den Regelungsgehalt des ab 2015 geltenden Art. 9a der MwSt-DVO mit der vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung vorzunehmenden Auslegung von Art. 28 der MwStSystRL in Bezug auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen, u. a. über Appstores, gleich.
I. Hintergrund
Die in Deutschland ansässige App-Entwicklerin (Klägerin im Ausgangsverfahren) nutzte für den Vertrieb einen Appstore, der von einer in Irland ansässigen Gesellschaft betrieben wurde. Konkret geht es um die Frage, wer umsatzsteuerrechtlicher Leistungserbringer und wo dementsprechend der Ort der Leistung ist (weitere Informationen sowie die drei Vorlagefragen sind im Blogbeitrag vom 13. Februar 2024 zusammengefasst).
In Abhängigkeit der Beantwortung der ersten beiden Fragen soll des Weiteren geklärt werden, ob eine Steuerschuld der Entwicklerin für deutsche Umsatzsteuer besteht, weil der Appstore sie vereinbarungsgemäß in seinen per E-Mail an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, obwohl die Endkunden nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
II. Positionen der Parteien
Die Klägerin beruft sich ergänzend auf Art. 9a MwSt-DVO sowie die Erläuterungen der Kommission zu den 2015 in Kraft getretenen einschlägigen EU-Mehrwertsteuervorschriften. Hierbei handele es sich um Art. 28 MwStSystRL präzisierende Bestimmungen, die "rückwirkend" auf Zeiträume vor Inkrafttreten des Art. 9a MwSt-DVO anwendbar seien.
Das Finanzamt hat darauf erwidert, dass die unionsrechtlichen Regelungen zu Art. 9a MwSt-DVO erst zum 01.01.2015 in Kraft getreten seien und daher in den Streitjahren noch keine Anwendung fänden.
Der Umstand, dass Art. 9a MwSt-DVO den Regelungsgehalt von Art. 28 MwStSystRL in der Auslegung durch den EuGH konkretisiert, so der BFH, könne dafür sprechen, dass die dort niedergelegten Grundsätze auch auf die Umsätze der Klägerin in den Streitjahren Anwendung finden könnten (RZ 75 im BFH-Vorlagebeschluss, mit weiterer EuGH-Rechtsprechung).
Der Generalanwalt (GA) hatte in seinen Schlussanträgen vom 10. April 2025 unter anderem die Auffassung vertreten, dass Artikel 28 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, und erklärte, dass der App-Store als Dienstleister zu behandeln sei.
III. Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat die zusammenfassende Wertung des GA im Ergebnis bestätigt und zu den Vorlagefragen konkret wie folgt Stellung genommen:
Antwort zu Frage 1: Die Anwendung von Art. 28 ist nicht allein deswegen ausgeschlossen, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger (der Klägern) vor dem 1. Januar 2015 Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen (der irische Betreiber des Appstore) erbracht hat, weil in den von letzterem Steuerpflichtigen den Endkunden erteilten Bestellbestätigungen der erste Steuerpflichtige als Leistender genannt wird und der in dessen Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.
Bezüglich des Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, weist der EuGH darauf hin, dass mit dieser Vorschrift der Leistungserbringer für Mehrwertsteuerzwecke bestimmt werden soll, wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden. Insoweit ergebe sich aus dem Urteil vom 28. Februar 2023, Fenix International (C‑695/20, Rn. 89), dass dieser Art. 9a nicht als Ergänzung oder Änderung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden kann. Der am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Art. 9a Abs. 1 MwSt-DVO findet zwar auf den Ausgangsrechtsstreit, der in den Jahren 2012 bis 2014 erbrachte Dienstleistungen betrifft, in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung. Gleichwohl, so der EuGH, ist diese Vorschrift insofern zu berücksichtigen, als sie ein Konzept verdeutlicht und klärt, das sich in der Mehrwertsteuerrichtlinie findet und seit deren Einführung anwendbar ist.
Antwort zu Frage 2: Wenn ein im Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger so behandelt wird, als ob er eine Dienstleistung selbst erhalten und erbracht hätte, ist der Ort der fingierten, an diesen Steuerpflichtigen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 dieser Richtlinie zu bestimmen.
Artikel 44 bestimmt, dass als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, der Ort gilt, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat (hier: in Irland). Was die Frage des Orts einer Dienstleistung anbelangt, gehe, wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, weder aus Art. 28 noch aus einer anderen Bestimmung der Mehrwertsteuerrichtlinie hervor, dass der Ort dieser Dienstleistung davon abweichend von den in Titel V Kapitel 3 der Richtlinie vorgesehenen Regeln zu bestimmen wäre.
Zu Frage 3: Wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger (hier: die Klägerin) Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen (dem Appstore-Betreiber in Irland) erbracht hat (…), kann der erste Steuerpflichtige (die Klägerin) nicht deshalb als Schuldner der Mehrwertsteuer in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat angesehen werden, weil er in den an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen mit seinem Einverständnis als Leistender genannt wird und dort der in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 9. Oktober 2025 in der Rechtssache C-101/24 - Xyrality.