Der Koalitionsvertrag und seine Maßnahmen für den Energiebereich
Union und SPD haben sich am 9. April 2025 geeinigt und ihre Koalitionsverhandlungen abgeschlossen. Auf ihrer Pressekonferenz stellten die Parteien 45 Tage nach der Bundestagswahl die wichtigsten Positionen des neuen Koalitionsvertrags vor. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die relevanten Themen für die Energiewirtschaft.
Union und SPD bekennen sich zu den deutschen und europäischen Klimazielen und setzten auf die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 soll unter der Prämisse des Einklangs von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, Klimaschutz und sozialer Ausgewogenheit weiterverfolgt werden. Deshalb planen die Koalitionspartner, den Ausbau der erneuerbaren Energien gezielt zu fördern und am EU-Emissionshandel festzuhalten. Dabei sollen die finanziellen Belastungen für Unternehmen und Bürger reduziert werden.
Die Koalition hat eine Reihe von Zielvorstellungen vereinbart, deren konkrete Umsetzung und Details noch offen sind. Zahlreiche Maßnahmen, die bereits unter der vorherigen Regierung initiiert wurden, werden von der Koalition weitergeführt und angepasst. So sollen Investitionen, Innovationen und Wettbewerb gefördert sowie Steuern, Abgaben und Energiepreise gesenkt werden. Zudem wird eine verkürzte Dauer von Genehmigungsverfahren angestrebt.
Senkung der Energiepreise
Die Koalitionspartner haben angekündigt, die Energiepreise dauerhaft, um mindestens 5 Cent pro Kilowattstunde zu senken, um sowohl Unternehmen als auch Verbraucher in Deutschland zu entlasten. Die Stromsteuer soll für Privathaushalte auf das EU-rechtliche Minimum (0,1 Cent pro kWh) reduziert werden. Darüber hinaus ist ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgesehen, das eine Senkung von Umlagen und Netzentgelten umfasst, wobei die Netzentgelte dauerhaft gedeckelt werden sollen.
Besonders im Fokus steht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, weshalb die Strompreiskompensation dauerhaft verlängert und auf weitere Branchen ausgeweitet werden soll. Die Stromsteuersenkung betrifft in erster Linie Privathaushalte. Viele energieintensive Unternehmen haben bereits vorher von reduzierten Stromsteuersätzen profitiert. Für anderweitig nicht zu entlastende energieintensive Unternehmen wird ein spezieller Industriestrompreis angestrebt, wobei die Ausgestaltung noch zu konkretisieren sein wird.
Im Gegensatz zu den bisherigen Maßnahmen soll die Gasspeicherumlage vollständig abgeschafft werden. Die Koalitionäre wollen durch alternative Mittel eine sichere Versorgung gewährleisten.
Ausbau erneuerbarer Energien
Die Koalitionspartner haben das Ziel, das Energieangebot zu steigern, um die Stromkosten zu stabilisieren oder sogar zu senken. Dazu sollen alle Potenziale der erneuerbaren Energien umfassend genutzt werden: Sonnen- und Windenergie, Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, klimaneutrale Moleküle sowie Speicherkapazitäten. Dabei sind klimaneutrale Moleküle Energieträger, die in den schwer elektrifizierbaren Sektoren wie Luft- und Schiffverkehr eingesetzt werden. Parallel plant die zukünftige Bundesregierung die Förderung innovativer Technologien wie Abwasserwärme, Wärmerückgewinnung und Höhenwindenergie.
Im Bereich der Solarenergie wird angestrebt, Betreiber von bestehenden Anlagen zur netz- und systemdienlichen Einspeisung anzuhalten – ggf. mithilfe einer Prüfung neuer Bestimmungen des Solarspitzengesetzes - und eine Doppelnutzung mit Parkplatz-, Agri- und Floating-PV zu erleichtern. Bei der Windenergie werden hauptsächlich Kosteneffizienz und unwirtschaftliche Schwachwindorte durch das Referenzertragsmodell geprüft sowie eine verbesserte Synchronisation von Windkraft- und Netzausbau angestrebt, wobei befristete Engpassgebiete als Lösung vorgeschlagen werden.
Zudem sollen Unternehmensstrategien zur physikalischen Direktversorgung erweitert werden. Für EEG-geförderte Anlagen ist eine Begrenzung der zulässigen Höhe für Flächenpachten vorgesehen. All diese Vorhaben und die vollständige Umsetzung der dritten Erneuerbaren Energien Richtlinie (RED III) werden weitere umfassende Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erforderlich machen.
Gaskraftwerke & -speicher
Die Parteien haben das Ziel, bis 2030 einen Zubau von 20 GW Gaskraftwerksleistung zu erreichen, wobei sie großen Wert auf Technologieoffenheit legen. Vorrangig sollen diese neuen Gaskraftwerke an bereits bestehenden Standorten errichtet und regional bedarfsgerecht gesteuert werden. Die drei beteiligten Parteien, CDU/CSU und SPD, erhoffen sich durch die Diversifizierung des Energieangebots eine größere Stabilität und niedrigere Stromkosten.
Ferner wollen die Koalitionspartner die Gasspeicherumlage abschaffen, um niedrige und wettbewerbsfähige Energiekosten sicherzustellen. Geeignete Instrumente zur kostengünstigen Befüllung der Gasspeicher sollen eingeführt werden. Langfristige, günstige Gaslieferverträge mit internationalen Anbietern sollen die Versorgungssicherheit stärken.
Bioenergie
Unter das Stichwort „mehr Flexibilität“ fällt auch die Bioenergie. Hier sollen Reststoffe besser genutzt und kleinere und wärmegeführte Anlagen mehr berücksichtigt werden. Die bestehenden Deckelungen wolle man überprüfen.
Wasserstoff
Die Koalitionspartner wollen den Wasserstoffhochlauf durch eine zügige gesetzliche Umsetzung der europäischen Strategie und den Ausbau der Infrastruktur fördern und gleichzeitig einer Überregulierung entgegensteuern. Langfristig wird ein Mix aus Importen und inländischer Herstellung anvisiert. Dabei sind sowohl dezentrale als auch große systemfreundliche Anlagen im System gewünscht. Industrielle Zentren im Süden und Osten Deutschland sollen ebenfalls durch zusätzliche Trassen angebunden werden. Förderinstrumente, wie H2-Global und IPCEI, sollen genutzt und vertrauenswürdige Zertifizierungssysteme für klimafreundliche Energieträger eingeführt werden. Für die Schaffung von Leitmärkten für klimaneutrale Produkte setzen die Parteien auf Quoten (klimaneutraler Stahl, Grüngas) und auf vergaberechtliche Sonderregelungen, um Überregulierung zu vermeiden.
Kern- und Kohleenergie
Während die Union mitunter noch den Einsatz von Kernenergie erwogen hatte, wurde dieser Aspekt nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen. An dem Kohleausstieg bis 2038 wollen beide Parteien festhalten.
Förderung von CO2-Abscheidungs- und Speicherungstechnologien (CCS) und Nutzungstechnologien (CCU)
Deutlich mehr Bedeutung gewinnen CO2- Abscheidungs- und Speichertechnologien (Carbon Capture and Storage, CCS) und Nutzungstechnologien (Carbon Capture and Utilization, CCU). Durch den Einsatz von CCS und CCU kann CO2 aus industriellen Abgasen oder direkt aus der Atmosphäre abgetrennt und unterirdisch gespeichert werden. Geplant ist ein Gesetzespaket zu Abscheidungs-, Speicherungs-, Transport und Nutzungstechnologien von Kohlendioxid, welches umgehend nach Beginn der Wahlperiode vorgelegt werden soll. Ein überragendes öffentliches Interesse für den Bau von CCS/CCU-Anlagen und Leitungen soll normiert werden. Außerdem soll das London-Protokoll ratifiziert und bilaterale Abkommen mit den Nachbarländern angestrebt werden. Die Speicherung soll sowohl offshore (AWZ, Festlandsockel) als auch onshore möglich sein, sofern es geologisch möglich und akzeptiert ist. Dazu soll eine Länderöffnungsklausel geschaffen werden. Direct Air Capture sehen die Parteien als eine mögliche Strategie für die Zukunft.
Die genannten Technologien können einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Netto-Null-Ziele leisten. Eine der Voraussetzungen für einen umfassenden Einsatz der Technik – eine Öffnung des Rechtsrahmens und Schaffung von Rechtsklarheit sowie Planungssicherheit– scheint damit in erreichbare Nähe zu rücken. Ende September 2024 hatte der Bundestag bereits über einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) beraten. Dieser wurde jedoch nicht mehr verabschiedet.
Netzausbau und Modernisierung
Die zukünftige Regierung plant, den Netzausbau und die Netzmodernisierung voranzutreiben und dabei die Anpassung an die Erneuerbaren Energien gezielt zu fördern. Dazu sollen die Systeme durch Maßnahmen wie die freie Gestaltung und Überbauung am Netzverknüpfungspunkt optimiert werden. Dort wo es möglich ist, sollen neu zu planende HGÜ-Netze als Freileitungen realisiert werden, um die Infrastruktur zu stärken und effizienter zu gestalten.
Außerdem soll die Digitalisierung der Netze vorangetrieben werden. Ein wesentlicher Punkt ist die Beschleunigung und Vereinfachung des Rollouts von Smart Metern, um effizientere und dynamische Stromtarife zu unterstützen.
Speicherausbau
Die Koalitionspartner haben das Ziel, den Strommarkt durch den gezielten Ausbau von Energiespeichern zu flexibilisieren. Der Speicherausbau soll systemdienlich gestaltet werden, wobei Rechenzentren, Speicher und große Erzeuger erneuerbarer Energien netzdienlich angesiedelt werden sollen. Energiespeicher sollen im überragenden öffentlichen Interesse anerkannt werden und im Zusammenhang mit privilegierten Erneuerbare-Energien-Erzeugungsanlagen als Co-Location-Projekte ebenfalls privilegiert werden. Dies ist bereits in § 11c EnWG für Energiespeicheranlagen und in § 2 EEG für Erneuerbare-Energien-Anlagen verankert.
CDU/CSU und SPD wollen darüber hinaus das Stromsystem durch den Ausbau einer systemdienlichen Nutzung von E-Auto- und Heimspeichern weiter flexibilisieren. Dazu sollen Optionen für bidirektionales Laden und charge@work ermöglicht werden. Ziel ist es, Mehrfachbelastungen durch Steuern, Abgaben und Entgelte zu beseitigen, um den Ausbau und die Integration von Energiespeichern zu erleichtern und das Stromsystem insgesamt effizienter und flexibler zu gestalten.
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
Um die Energiewende zu fördern, planen die Koalitionspartner die Entbürokratisierung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Zu den geplanten Maßnahmen gehören:
- Fortsetzung und Weiterentwicklung des Bund-Länder-Prozesses zur Umsetzung des Beschleunigungspaktes
- Zügige Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III
- Planung zur Einführung eines Expertenpools, Ausweitung der Zustimmungsfiktion und erweitertem Bestandschutz für Ersatzeinrichtungen
Aktuell sind lange Planungs- und Genehmigungsverfahren noch ein Hindernis beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, ebenso wie die Wartezeiten auf den Netzanschluss, auf die der Koalitionsvertrag jedoch nicht konkret eingeht. Da etwa 90 Prozent der Vorhaben des Beschleunigungspaketes bereits umgesetzt oder in Bearbeitung sind (Stand: 28. Februar 2025), könnte die Umsetzung bald erfolgen.
Wärme
Die künftige Regierungskoalition befürwortet die Kraft-Wärme-Kopplung und plant, das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) noch im Jahr 2025 an die "Herausforderungen einer klimaneutralen Wärmeversorgung, Flexibilitäten und einen Kapazitätsmechanismus" anzupassen. Zuletzt wurde das Gesetz zum 1. April 2025 geändert, um die Förderung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu verlängern.
Im Bereich Wärme haben sich Union und SPD auf folgende Maßnahmen verständigt:
- Die EU-Gasbinnenmarktrichtlinie soll schnell umgesetzt werden. Die Frist dafür endet im August 2026.
- Für Geothermie wurde ein optimiertes Beschleunigungsgesetz angekündigt.
- Die Bundesförderung effizienter Wärmenetze (BEW) wird gesetzlich geregelt und aufgestockt. Als erste konkrete Maßnahme hat das Bundesfinanzministerium kürzlich die Fortsetzung der BEW mit zusätzlichen Mitteln von 305 Mio. EUR für die Jahre 2026 bis 2029 bewilligt und damit für eine unterbrechungsfreie Fördertätigkeit gesorgt.
- Die AVB-Fernwärmeverordnung und die Wärmelieferverordnung sollen rasch überarbeitet werden, um Investitionssicherheit zu gewährleisten. Ein Gesetzentwurf zur Novellierung der AVB-Fernwärmeverordnung wurde bereits in der letzten Legislaturperiode eingebracht.
- Die Preisaufsicht für transparente Preise wird verstärkt.
- Das Gebäudeenergiegesetz wird einfacher und technologieoffen gestaltet und mit der kommunalen Wärmeplanung verzahnt.
- Außerdem soll der Quartiersansatz gestärkt und die EH55-Standards bis zur Aktivierung des Bauüberhangs wieder förderfähig gemacht werden.
- Einführung einer unbürokratischen Schlichtungsstelle
Finanzierung
Der Koalitionsvertrag lässt noch Fragen zur Finanzierung offen. Laut einer Studie des BDEW besteht bis 2030 ein Investitionsbedarf von 721 Milliarden Euro für die Energiewende. Diese Mittel können die zuständigen Aufgabenträger nicht allein bereitstellen. Wie das Sondervermögen verteilt und genutzt wird, bleibt abzuwarten. Eine Möglichkeit wäre die Schaffung, Aufstockung und Erweiterung von Förderprogrammen. Es ist jedoch anzunehmen, dass ein großer Teil der Mittel aus dem Sondervermögen bereits durch die geplanten Kostenentlastungen beansprucht wird. Maßnahmen wie die Senkung der Stromsteuer, die Finanzierung des Industriestrompreises, die Reduzierung der Netzentgelte und die Abschaffung der Gasspeicherumlage bringen erhebliche Ausgaben mit sich. Ob zusätzliche Investitionen für die Energieinfrastruktur aus dem Sondervermögen und dem Investitionsfonds bestritten werden können, bleibt offen.
Die Koalitionspartner erwägen zudem strategische staatliche Beteiligungen im Energiesektor, einschließlich bei Netzbetreibern. Auch sollen die in der Gaskrise erworbenen Staatsbeteiligungen wieder auf strategische Anteile des Bundes reduziert werden.
Auswirkungen
Die geplanten Vorhaben lassen einen erhöhten Fokus auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erkennen. Die Überlegungen von Industriebetrieben, ihre Produktion einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Durch ein Maßnahmenpaket, das Entbürokratisierung, Flexibilisierung und finanzielle Entlastung beinhaltet, erhofft sich die zukünftige Bundesregierung, dass dieser Trend abgeschwächt wird. Neben der Finanzierung der sinkenden Energiepreise bleibt eine Beschleunigung des immer noch unzulänglichen Netzausbau weiterhin eine Herausforderung. Es müssen Gaskraftwerke, Speicher und Erneuerbare-Energien-Anlagen angeschlossen werden, was trotz entlastender Effekte durch flexiblen Einsatz einen massiven Aufwand bedeutet. Die erforderlichen Netzanschlüsse werfen hier die Frage nach Auslastung und Anzahl der Netzverknüpfungspunkte auf.
Wichtige Aspekte zum Energiemarkt werden zwar adressiert, doch die genaue Ausgestaltung der Maßnahmen ist vielfach noch offen. Einige Gesetzesentwürfe der letzten Regierung sollen weiterverfolgt werden, wobei unklar ist, wie sie modifiziert werden könnten. Eine konkrete Positionierung hinsichtlich der Investitionen ist zudem wünschenswert. Planungssicherheit in diesem Bereich würde wesentlich dazu beitragen, Investoren zu motivieren und notwendige Entscheidungen zu forcieren.
Der Koalitionsvertrag zeigt insbesondere in den für die Energiewirtschaft relevanten Themen einen großen Spielraum für konkrete Handlungen. Die kommenden Monate werden mehr Klarheit über regulatorische Maßnahmen und eine Ausgestaltung im Detail bringen. Wir werden die zukünftigen Entwicklungen im Auge behalten.
Sprechen Sie uns bei Fragen gerne an.
Kontakt


Peter Mussaeus
Partner, Leiter Energierecht
Düsseldorf