EuGH zur Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall
Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Drittstaatensachverhalten könnte mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Der EuGH sieht in der diesbezüglichen Vorschrift im Außensteuergesetz dann keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit, wenn weitere Prüfungen ergeben, dass die einschlägigen Vorschriften im Außensteuergesetz am 31. Dezember 1993 tatsächlich bestanden haben.
Im Hinblick auf die Frage, ob hinsichtlich der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung bei sog. Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Abs. 6 und 6a Außensteuergesetz (AStG) die Voraussetzungen der "Stillhalteklausel" (Art. 64 AEUV) erfüllt sind und - falls dies nicht der Fall ist - ob hinreichende Amtshilfemöglichkeiten im Verhältnis zur Schweiz gegeben sind, überlässt der EuGH dem BFH die endgültige Prüfung anhand der u.a. im vorliegenden Urteil festgelegten Kriterien.
Hintergrund und Ausgangslage
Eine deutsche GmbH war zu 30 Prozent an einer Schweizer AG beteiligt und erzielte Einkünfte aus abgetretenen Geldforderungen, die vom Finanzamt zu Lasten der GmbH als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen wurden. Im Verhältnis zu Drittstaaten ist ein grundfreiheitlicher Schutz nur dann gegeben, wenn die Kapitalverkehrsfreiheit anwendbar ist. Da der Streitfall sogenannte Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Abs. 6, 6a AStG betrifft und dort bereits eine Beteiligung von 1 % ausreicht, um in den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung zu fallen, war kein vorrangiger Fall der Niederlassungsfreiheit gegeben. Die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit ist jedoch immer unter dem Vorbehalt der sogenannten „stand still Klausel“ des Art. 64 AEUV zu sehen, wodurch gewisse „Altregelungen“ einen Bestandsschutz genießen. – Der Generalanwalt war in seinen Schlussanträgen vom 5. Juni 2018 zu der Empfehlung gelangt, dass die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Drittstaatensachverhalten mit dem Unionsrecht vereinbar ist; die Voraussetzungen der sogenannten „Stillhalteklausel“ seien erfüllt. Der EuGH folgt dem, allerdings mit gewissen Einschränkungen.
Dabei geht es um die folgenden Aspekte hinsichtlich des Fortbestands der „stand-still-Klausel“.
„Stand-still-Klausel“ trotz Erweiterung der AStG-Vorschrift auf Portfolioinvestitionen anwendbar
Das AStG war nach dem 31. Dezember 1993 nicht mehr nur auf Direktinvestitionen, sondern auch auf sogenannte „Portfolioinvestitionen“ in Drittländern anwendbar. Die Klägerin hatte demzufolge argumentiert, dass das AStG in seiner vor dem 31. Dezember 1993 geltenden Fassung durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG ) 2001 von Grund auf geändert worden sei, so dass es in seiner nach dem 31. Dezember 1993 geltenden Fassung - in der es nicht mehr ausschließlich auf Direktinvestitionen, sondern auch auf sogenannte „Portfolioinvestitionen“ in Drittländern Anwendung finde - nicht mehr von der „stand-still-Klausel“ erfasst werde. Dies hatte der Generalanwalt verneint, auch die Europarichter sehen dies so.
Eine Ergänzung im Gesetz, die eine Kategorie von Investitionen (hier: Portfolioinvestitionen) betrifft, die ohnehin nicht in den Anwendungsbereich von Art. 64 AEUV fällt, habe keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Sachverhalte, in denen es ausschließlich um Direktinvestitionen geht. Die „stand-still-Klausel“ ist hier nach Auffassung des EuGH ungeachtet etwaiger späterer Erweiterungen des Geltungsbereiches der betreffenden Regelung im AStG anwendbar.
Änderungen an den maßgeblichen Hinzurechnungsvorschriften des AStG
Im Zuge des StSenkG 2000 sollten die Vorschriften des AStG über die Hinzurechnungsbesteuerung, die am 31. Dezember 1993 in Kraft waren, zwar von Grund auf geändert werden. Das StSenkG 2000 wurde jedoch, noch bevor es ab dem 1. Januar 2002 zur Anwendung kommen konnte, seinerseits durch das ab dem 1. Januar 2002 geltende UntStFG 2001 aufgehoben, mit dem die Vorschriften des AStG über die Hinzurechnungsbesteuerung, die am 31. Dezember 1993 für Direktinvestitionen galten, im Wesentlichen unverändert wieder eingeführt wurden.
Die Klägerin war hier der Auffassung, dass die vor dem 31. Dezember 1993 geltende Fassung des AStG durch das Steuersenkungsgesetz (StSenkG) 2000 aufgehoben worden sei, so dass die im Ausgangsverfahren relevanten und nach dem 31. Dezember 1993 erlassenen Bestimmungen des AStG nicht unter die „stand-still-Klausel“ in Art. 57 Abs. 1 EG fallen könnten, weil sie nicht ununterbrochen in der deutschen Rechtsordnung bestanden hätten. Dies sieht das Gericht (ebenso wie zuvor der Generalanwalt) prinzipiell – und mit Einschränkungen - skeptisch.
Die „stand-still-Klausel“ ist eine eng auszulegende Ausnahmeregelung, welche voraussetzt, dass der rechtliche Rahmen, in den sich die betreffende Beschränkung einfügt, seit diesem Datum ununterbrochen Teil der nationalen Rechtsordnung war. Als „ununterbrochen“ in diesem Sinn wertet es der EuGH, wenn Aufhebungs- oder Änderungsbestimmungen erst zu einem späteren Zeitpunkt (als dem 31. Dezember 1993) anwendbar werden und wenn sie ihrerseits aufgehoben werden, bevor sie zur Anwendung gelangen. Hier ist nun der BFH aufgerufen, abschließend zu prüfen, ob im StSenkG Bestimmungen enthalten waren, nach denen das Gesetz erst später zur Anwendung kommen sollte (bzw. auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde) und somit die durch dieses Gesetz bewirkten Änderungen für Zwischengesellschaften mit Sitz im Drittstaat vom 1. Januar 2001 bis 25. Dezember 2001, an dem das UntStFG in Kraft trat, nicht anwendbar waren. Nur wenn dies der Fall sei, könne davon ausgegangen werden, so der EuGH, dass die „stand-still-Klausel“ und die damit verbundene Beschränkung ohne Unterbrechung aufrechterhalten wurde. Anderenfalls wäre von einer Unterbrechung auszugehen, so dass die Anwendung des Art. 64 AEUV ausgeschlossen wäre.
Zur Rechtmäßigkeit einer möglichen Beschränkung: Eingriff in Kapitalverkehrsfreiheit kann durch mangelnde Amtshilfe gerechtfertigt sein
Abschließend prüfte der EuGH nur hilfsweise (für den Fall, dass der BFH zu der Auffassung gelangen sollte, dass die betreffenden Regelungen im AStG nicht unter die Stillhalteklausel fallen sollten), ob ein (dann vorliegender) Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt ist. Wenn es für die Streitjahre 2005/2006 im Verhältnis zur Schweiz keine hinreichenden Amtshilfemöglichkeiten gab - was der BFH noch prüfen muss -, wäre die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Wahrung der Besteuerungsbefugnis und die Wirksamkeit der steuerlichen Aufsicht gerechtfertigt gewesen.
Sollte sich jedoch herausstellen, dass eine rechtlich verbindliche Möglichkeit zur Amtshilfe bestand, müsse dem Steuerpflichtige Gelegenheit gegeben werden, die etwaigen wirtschaftlichen Gründe für seine Investition in dem betreffenden Drittland darzulegen, ohne übermäßigen Verwaltungszwängen unterworfen zu werden.
Fundstelle
EuGH-Urteil vom 26. Februar 2019 (C-135/17), X
Eine englische Zusammenfassung des Urteils finden Sie hier.