Einkommensteuerschuld als Nachlassverbindlichkeit
Wurde eine Einkommensteuerschuld mangels wirtschaftlicher Belastung nicht als Nachlassverbindlichkeit abgezogen und ändern sich die Verhältnisse nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu rechnen ist, ist dies ein Ereignis mit materiell-rechtlicher Rückwirkung, das die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids ermöglicht. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.
Sachverhalt
Der Erblasser war im Streitfall an einer KG beteiligt, zu deren Gunsten das Finanzamt zunächst einen steuerfreien Sanierungsgewinn annahm. Erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung des Erbschaftsteuerbescheides wurde die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns verneint und der daraus resultierende Einkommensteuerbescheid geändert. Die wirtschaftliche Belastung der Erben trat somit erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Erbschaftsteuer ein.
Das Finanzamt berücksichtigte den Betrag, der die Nachlassverbindlichkeiten erhöhte, nicht, da eine einschlägige Korrekturvorschrift nicht gegeben sei.
Das Finanzgericht Schleswig-Holstein hatte eine Berichtigung nach § 6 Abs. 2 i.V. § 5 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) zugelassen.
Entscheidung des BFH
Der BFH gab der Revision des Finanzamts statt, die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören diejenigen Steuerschulden, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits rechtlich entstanden waren (BFH, Urteil vom 14. November 2018 (II R 34/15), Rz. 16, 17; siehe unseren Blogbeitrag).
Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) gehören aber nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen (u.a. BFH, Urteil vom 4. Juli 2012 (II R 15/11), Rz 13, 14, 15, 21).
Steuerschulden können aber wie andere Nachlassverbindlichkeiten nur dann abgezogen werden, wenn sie im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben.
Daran fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung geltend machen werde.
Ändern sich die Verhältnisse nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu rechnen ist, ist dies ein Ereignis mit materiell-rechtlicher Rückwirkung, das die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) ermöglicht.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 11. Juli 2019 (II R 36/16), veröffentlicht am 5. Dezember 2019.