EuGH zum grenzüberschreitenden Apothekenrabatt
Eine Apotheke im EU-Ausland, die verschreibungspflichtige Arzneimittel an gesetzliche Krankenkassen liefert, ist aufgrund einer Rabattgewährung an die gesetzlich krankenversicherte Person umsatzsteuerrechtlich nicht zu einer Steuervergütung für die an die Krankenkasse ausgeführte Lieferung berechtigt. Dies hat der Europäische Gerichtshof aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des BFH entschieden.
Hintergrund
Die Firma Z (Klägerin vor dem BFH) ist eine Apotheke, die in 2013 verschreibungspflichtige Arzneimittel aus den Niederlanden nach Deutschland lieferte. Diese Arzneimittel wurden zum einen an gesetzlich krankenversicherte Personen und zum anderen an privat krankenversicherte Personen versandt. Für die Beantwortung eines Fragebogens zur jeweiligen Erkrankung zahlte die Firma Z den Betroffenen einen bestimmten Betrag als „Aufwandsentschädigung“. Bei der Lieferung verschreibungspflichtiger Arzneimittel an privat krankenversicherte Personen ging die Firma Z davon aus, dass sie Kaufverträge über die Arzneimittel mit diesen Personen abgeschlossen und diese daher unmittelbar beliefert habe. Insofern behandelte sie diese Lieferungen als in Deutschland steuerpflichtig. Sie war zudem der Auffassung, dass die Zahlung der Aufwandsentschädigungen an die privat krankenversicherten Personen zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage geführt habe.
Im Streitfall geht es somit darum, ob die Klägerin eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für die erste Lieferung an die gesetzlichen Krankenkassen geltend machen kann, da sie einen Rabatt an den Abnehmer der zweiten Lieferung, die die gesetzliche Krankenkasse gegenüber der gesetzlich krankenversicherten Person ausführt, gewährt.
Vorlagefragen an den EuGH
Der BFH erachtet daher seitens des EuGH für klärungsbedürftig, (erste Vorlagefrage) ob eine Apotheke, die Arzneimittel an eine gesetzliche Krankenkasse liefert, aufgrund einer Rabattgewährung an den Krankenversicherten zur Minderung der Steuerbemessungsgrundlage auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94) berechtigt ist. Zweite Vorlagefrage (bei Bejahung der ersten Vorlagefrage): Widerspricht es den Grundsätzen der Neutralität und der Gleichbehandlung im Binnenmarkt, wenn eine Apotheke im Inland die Steuerbemessungsgrundlage mindern kann, nicht aber eine Apotheke, die aus einem anderen Mitgliedstaat an die gesetzliche Krankenkasse innergemeinschaftlich steuerfrei liefert? - Siehe dazu die Ausführungen in unserem Blogbeitrag vom 1. November 2019.
Die Firma Z ist der Ansicht, dass sie nach dem EuGH-Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage aufgrund einer Entgeltminderung berechtigt sei. Dem hat jedoch der EuGH mit seinem heutigen Urteil einen Riegel vorgeschoben.
Entscheidung des EuGH
Leitsatz: Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat niedergelassene Apotheke nicht zur Minderung ihrer Steuerbemessungsgrundlage berechtigt ist, wenn sie Lieferungen pharmazeutischer Produkte als in diesem Mitgliedstaat von der Mehrwertsteuer befreite innergemeinschaftliche Lieferungen an eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erbringt und den bei dieser Krankenkasse versicherten Personen einen Rabatt gewährt.
Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor, dass im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert wird.
Der Verkauf der in Rede stehenden pharmazeutischen Produkte ist Gegenstand zweier Lieferungen: Zunächst von der Apotheke an die gesetzliche Krankenkasse und zweitens von dort an die bei ihr versicherten Personen. Bei der ersten Lieferung handelt es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung, die gemäß Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in den Niederlanden von der Steuer befreit ist. Daher ist die gesetzliche Krankenkasse als juristische Person nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie verpflichtet, auf den dieser Lieferung entsprechenden Erwerb Mehrwertsteuer zu entrichten. Die zweite Lieferung, die von der gesetzlichen Krankenkasse an ihre Versicherten erfolgt, fällt nicht in den in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 festgelegten Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer.
Die Firma Z wolle, so der EuGH, infolge eines Rabatts, den sie gesetzlich krankenversicherten Personen gewährte, eine Minderung ihrer Steuerbemessungsgrundlage in Bezug auf Lieferungen an privat krankenversicherte Personen erhalten. Im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sei es jedoch ausgeschlossen, die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage hinsichtlich eines Umsatzes auf die Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage eines anderen Umsatzes anzurechnen.
Da die Firma Z nicht über eine Steuerbemessungsgrundlage verfügt, die Gegenstand einer Berichtigung sein könnte, sind auch die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht erfüllt. Insofern war der EuGH hier nicht gefordert zu prüfen, ob eine Kette von Umsätzen im Sinne des Urteils vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs vorliegt.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 11. März 2021 (C‑802/19), Firma Z