Update: Frist für einen Antrag auf Erstattung von Kapitalertragsteuer aus unionsrechtlichen Gründen

Das Finanzgericht Nürnberg hat entschieden, dass für die Festsetzungsfrist für die Erteilung eines Freistellungsbescheids gem. § 155 Abs. 1 Satz 3 Abgabenordnung (AO), der auf die Erstattung von Kapitalertragsteuer aus unionsrechtlichen Gründen nach § 50d Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) analog gerichtet ist, § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG 2002 (nunmehr § 50d Abs. 1 Sätze 9 und 10 EStG) anzuwenden sind. § 50d Abs. 3 EStG sei nicht anzuwenden.

Sachverhalt

Klägerin war eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions aimplifée" (S.A.S.). Diese war alleinige Anteilseignerin einer in Deutschland ansässigen GmbH.

Im Streitjahr 2002 erhielt die Klägerin eine Gewinnausschüttung von der GmbH, für die sie im Vorwege eine vollständige Freistellung von der Kapitalertragsteuer nach der Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b i.V.m. § 50d Abs. 2 EStG 2002) beantragte. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) (damals: Bundesamt für Finanzen, BfF) erteilte am 27. Juni 2002 daraufhin eine Bescheinigung, wonach der Steuerabzug nach Art. 9 Abs. 5 DBA-Frankreich auf lediglich 5% der Kapitalerträge reduziert wurde. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch und beanspruchte die vollständige Freistellung vom Steuerabzug.

Mit Gesellschafterbeschluss vom 28. Juni 2002 schüttete die GmbH Dividenden an die Klägerin aus. Am 12. August 2002 meldete die Klägerin die entsprechende Kapitalertragsteuer an und legte zugleich gegen die Kapitalertragsteueranmeldung Einspruch ein. Das BZSt lehnte mit Einspruchsentscheidung v. 10. Juli 2003 die vollständige Freistellung vom Steuerabzug ab. Die hiergegen erhobene Klage beim Finanzgericht Köln blieb erfolglos. Auch die Revision wurde mit Urteil v. 11.1.2012 als unbegründet zurückgewiesen.

Jedoch wiesen das Finanzgericht Köln und der BFH auf die Möglichkeit hin, für nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 steuerfreie Dividenden beim örtlich zuständigen Finanzamt in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 einen Freistellungsbescheid gem. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO zu beantragen, was die Klägerin am 18. Juni 2010 tat. Das Finanzamt lehnte die Erteilung eines Freistellungsbescheids jedoch wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist ab. § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 käme ebenso nicht zur Anwendung.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage mit der Begründung, dass dem Steuerpflichtigen unmittelbar aus dem EU-Primärrecht das Recht auf Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben zustände. Die Durchsetzung dieses Rechts erfolge, entsprechend den Entscheidungen des Finanzgerichts Köln und des BFH, durch analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 und gerichtet auf den Erlass eines entsprechenden Freistellungsbescheids gem. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO.

Im Hinblick auf die Frist für den Erstattungsantrag seien § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG 2002 (nunmehr § 50d Abs. 1 Sätze 9 und 10 EStG) zu berücksichtigen, welche als Spezialvorschriften die Anwendung der §§ 169 ff. AO ausschließen. Unter Berücksichtigung von § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG 2002 sei die Frist für den Erstattungsantrag erst am 5. Dezember 2012 abgelaufen, da die Kapitalertragsteuer erst nach Rücknahme des Einspruchs gegen die Kapitalertragsteueranmeldung und Beendigung der Aussetzung der Vollziehung am 5. Juni 2012 durch die GmbH an das Finanzamt abgeführt wurde; der Freistellungs- und Erstattungsantrag sei jedoch bereits am 18. Juni 2010 und somit vor Fristablauf (6 Monate nach dem Zeitpunkt der Entrichtung - § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG 2002) eingereicht worden.

Richterliche Entscheidung

Nach Auffassung des Finanzgerichts Nürnberg ist hinsichtlich der Erteilung eines Freistellungsbescheids keine Festsetzungsverjährung eingetreten, da - bei analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 - die ebenfalls analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG 2002 Vorrang vor den §§ 169 ff. AO hat. Danach ende die Festsetzungsverjährung am 5. Dezember 2012. Die Klägerin hat den Antrag auf Freistellungsbescheid am 18. Juni 2010 und folglich innerhalb der Festsetzungsfrist eingereicht.

Einer analogen Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG 2002 in Folge der analogen Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 bedarf es dem Finanzgericht zufolge nicht, da andernfalls die gleichwertige Behandlung gebietsfremder und gebietsansässiger Empfängergesellschaften gefährdet würde und ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vorläge.

Update (02. September 2021)

Mit Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18, hat der BFH das Urteil des FG Nürnberg aufgehoben. Zwar hält der BFH - im Einklang mit der Entscheidung des FG - an seiner Rechtsprechung fest, nach der die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer auf eine analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 gestützt werden kann, wenn die Einbehaltung und Abführung gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt (vgl. BFH I R 25/10 vom 11. Januar 2012 , Rn. 46).

Die Reichweite des vom Senat gezogenen Analogieschlusses erstrecke sich allerdings - entgegen der vom FG in der angegriffenen Entscheidung vertretenen Auffassung - nicht auf die in § 50d Abs. 1 Satz 7 und 8 EStG enthaltenen Fristenregelungen. Vielmehr seien für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs im Einklang mit der im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. hierzu die Auflistung in Rn. 16 der Entscheidung) die allgemeinen Vorschriften der §§ 169 bis 171 AO anzuwenden.

Fundstelle

Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 12. April 2018 (6 K 1390/16); die Revision ist beim BFH unter dem Az. I R 31/18 anhängig.

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