EuGH: Unterschiedliche Umsatzbesteuerung von Freizeitparks und Schaustellern nicht unionswidrig
Das Finanzgericht Köln hatte dem EuGH Fragen zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Leistungen von Freizeitparks vorgelegt. Für Schaustellerleistungen auf Jahrmärkten und Schaustellerleistungen in ortsfesten Vergnügungs- bzw. Freizeitparks gelten unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. In seinem heutigen Urteil erachten die Europarichter eine solche unterschiedliche Behandlung im Grundsatz als mit dem Unionsrecht vereinbar. Dabei darf allerdings der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht verletzt werden.
Hintergrund
Das Finanzgericht Köln hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Besteuerung der Leistungen von Freizeitparks vorgelegt. Schaustellerleistungen auf Jahrmärkten und ähnlichen temporären Veranstaltungen unterliegen nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht nur dem ermäßigten Steuersatz von 7 %. Demgegenüber werden Schaustellerleistungen in ortsfesten Vergnügungs- bzw. Freizeitparks (wie hier: das Phantasialand) entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 02. August 2018, Az. V R 6/16) mit dem Regelsteuersatz von 19 % besteuert. Das Finanzgericht Köln bezweifelt, ob dies tatsächlich – wie der BFH meint – nicht gegen den sog. „Grundsatz der steuerlichen Neutralität“ verstößt (wir berichteten in unserem Blogbeitrag vom 7. September 2020) und wollte konkret geklärt wissen, ob die unterschiedlichen Steuersätze der genannten Schaustellerleistungen mit Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist.
Entscheidung des EuGH
Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie (MwStRL) steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird.
Die Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die betreffende Durchführungsverordnung enthält weder eine Definition des Begriffs „Jahrmärkte“ noch des Begriffs „Vergnügungsparks“. Deshalb müssen diese Begriffe nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch eng ausgelegt werden, da die Möglichkeit, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendung des Normalsatzes darstellt.
Unter den Begriff „Jahrmärkte“ fallen die Leistungen von Schaustellern auf zeitlich begrenzter Basis mit ortsungebundenen Einrichtungen, während der Begriff „Vergnügungsparks“ ortsfeste und damit dauerhafte Schaustellertätigkeiten umfasst. Wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz selektiv auf bestimmte in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführte Dienstleistungen anzuwenden, muss er den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Dieser Grundsatz lässt es nicht zu, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (Stichwort: „Austauschbarkeit der Leistungen aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers“; ausführlich dazu in Rz. 37ff des Urteils).
Das Finanzgericht hatte darauf hingewiesen, dass in Deutschland für Leistungen in einem Freizeitpark einerseits und auf einem Jahrmarkt andererseits keine unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen gelten, jedoch – so der EuGH - gehe aus den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung hervor, dass ortsungebundene und ortsgebundene Schaustellerunternehmen nicht denselben nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen, da mit der Genehmigung für das Abhalten eines Jahrmarkts verschiedene „Marktprivilegien“ einhergehen, die für die Dauer der Festsetzung zur Freistellung von bestimmten normalerweise geltenden rechtlichen Anforderungen wie insbesondere den Vorschriften über die Öffnungszeiten führen. Insoweit sei es nun Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Unterschiede, soweit sie erwiesen sind, die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen.
Ein nationales Gericht ist nach Dafürhalten des EuGH im Allgemeinen in der Lage, die Sicht des Durchschnittsverbrauchers aufgrund eigener Sachkunde festzustellen. Das Unionsrecht verbiete es darüber hinaus jedoch nicht, so der EuGH in Beantwortung der dritten Vorlagefrage, dass das vorlegende Gericht, wenn es bei der Prüfung, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, besondere Schwierigkeiten hat, nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 9. September 2021 (C-406/20), Phantasialand