EuGH-Vorlage: Ort der Einfuhr eines in einem Drittland zugelassenen Transportmittels
Das Finanzgericht Hamburg hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet und um Klärung der Frage gebeten, wo sich mehrwertsteuerrechtlich der Ort der Einfuhr eines in einem Drittland zugelassenen Transportmittels befindet, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Union verbracht wird.
Hintergrund
Der in Deutschland seit mehreren Jahren ansässige und gemeldete Kläger mit georgischer Staatsangehörigkeit erwarb im Januar 2019 in Georgien ein in Georgien auf seinen Namen zugelassenes Fahrzeug. Zur Finanzierung des Kaufpreises verpfändete er das in seinem Eigentum stehende Fahrzeug an eine georgische Bank. Im März 2019 fuhr er mit dem Fahrzeug von Georgien über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne das Fahrzeug in der Union zu einer Einfuhrzollstelle zu befördern, die Ware dort bereit zu stellen und einen Gestellungspflichtigen gegenüber der zuständigen Zollbehörde mitzuteilen. In Deutschland benutzte der Kläger das Fahrzeug für private und - was das beklagte Hauptzollamt bestreitet - geschäftliche Fahrten. Das Hauptzollamt setzte Einfuhrumsatzsteuer gegen den Kläger fest. Zur Begründung gab es an, dass der Kläger das Fahrzeug entgegen seiner Pflicht aus Art. 139 Unionszollkodex (UZK) nicht an der ersten Zollstelle im Unionsgebiet gestellt habe. Daher sei das Fahrzeug vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden, sodass eine Einfuhrzollschuld gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden sei.
Vorlagebeschluss
Entscheidungserheblich und rechtlich zweifelhaft ist für die Richter die Frage, ob Deutschland auch für die Festsetzung der Einfuhrmehrwertsteuer zuständig ist. Dies wäre der Fall, wenn die Auslegung der Art. 30 und 60 MwStRL ergibt, dass der Ort der Einfuhr in Deutschland liegt, obwohl der Kläger das Fahrzeug vor der Ankunft in Deutschland durch mehrere Mitgliedstaaten hindurchgesteuert hat. Anderenfalls wäre eine entsprechende Anwendung der Zuständigkeitsfiktion gemäß Art. 87 Abs. 4 UZK zu erwägen. Dies ist Gegenstand der zweiten Vorlagefrage.
- Sind die Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittland zugelassenen Transportmittels, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Union verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem der zollrechtliche Verstoß begangen und das Transportmittel erstmals in der Union als Transportmittel benutzt wurde, oder in dem Mitgliedstaat, in dem Derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug dort nutzt?
- Für den Fall, dass der Ort der Einfuhr in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland liegt: Verstößt es gegen die Richtlinie 2006/112/EG, insbesondere deren Art. 30 und 60, wenn eine mitgliedstaatliche Vorschrift den Art. 87 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 für entsprechend auf die Einfuhrmehrwertsteuer anwendbar erklärt?
Einschätzung der Rechtslage durch das Finanzgericht
Wendet man die gemäß § 21 Abs. 2 UStG für entsprechend anwendbar erklärten Vorschriften des Unionszollkodex auf die Einfuhrmehrwertsteuer an, ist die Einfuhrmehrwertsteuer vorliegend nicht in Deutschland entstanden. Gemäß Art. 87 Abs. 1 Unterabs. 2 UZK analog entsteht nämlich in Fällen, in denen - wie hier - keine Zollanmeldung oder Wiederausfuhranmeldung abgegeben wurde, die Einfuhrmehrwertsteuer an dem Ort, an dem der Tatbestand, der die Zollschuld entstehen lässt, erfüllt ist. Das Finanzgericht ist folglich der Ansicht, dass das Fahrzeug bereits in Bulgarien benutzt wurde und dadurch erstmalig dort in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist.
In Anbetracht der Definition des Eingangs in den Wirtschaftskreislauf möchte das Finanzgericht vom EuGH Klarstellung darüber, ob die Nutzung eines Fahrzeugs als Transportmittel für die Zwecke der Durchfahrt durch einen Mitgliedstaat nicht bereits in diesem Mitgliedstaat, sondern erst im Wohnsitzmitgliedstaat des Fahrzeugführers zum Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union führt. Der EuGH hatte sich in einem früheren Urteil (Urteil vom 3. März 2021 in der Rechtssache C-7/20, VS) darauf gestützt, dass das in Rede stehende Fahrzeug zwar zuerst in Bulgarien in das Zollgebiet der Union gelangt, jedoch tatsächlich in Deutschland benutzt worden sei.
Fundstelle
Finanzgericht Hamburg, Entscheidung vom 2. Juni 2021 (4 K 130/20); das Verfahren wird beim EuGH unter dem Az. C 368/21 geführt.