Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge

Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (entgegen BFH-Beschlüsse vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV), und vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV)). Dies hat der Sechste Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in einem aktuellen AdV-Verfahren entschieden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 233a der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 238 AO vom 08. Juli 2021 in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 betreffend die Vollverzinsung in fixer Höhe von 0,5 % pro Monat (BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303) über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen.

Das Finanzgericht Münster stellte in seinem Beschluss fest, die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge wegen des darin enthaltenen Zinsanteils, soweit sie ‑wie hier‑ nach dem 31. Dezember 2018 entstanden seien, erscheine ernstlich zweifelhaft.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Beschwerde stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Der Sechste Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Solche Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303.

Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Nachzahlungszinsen sind dementsprechend ‑anders als etwa ein Verspätungszuschlag‑ weder Sanktion noch Druckmittel (vgl. insoweit BTDrucks 8/1410, S. 4; BTDrucks 19/20836, S. 5), sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung (vgl. BTDrucks 8/1410, S. 4; BRDrucks 324/18, S. 2). Die Vollverzinsung hat keine zusätzliche Lenkungsfunktion dahingehend, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, ihre Steuererklärungen frühzeitig abzugeben oder etwaige Vorauszahlungen angemessen anzusetzen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 126).

Säumniszuschläge sind demgegenüber ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen.

§ 233a AO und § 240 AO regeln folglich unterschiedliche Sachverhalte. Aufgrund der wesentlichen Unterschiede von Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen kann die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303 zur Vollverzinsung auf § 240 AO auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden.

Der Senat vermag angesichts der aufgezeigten Unterschiede zwischen Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO und Zinsen nach § 233a AO keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern durch die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge zu erkennen. Die in § 240 AO angelegte unterschiedliche Behandlung der beiden Vergleichsgruppen ist bereits durch die vom Steuerschuldner veranlasste Säumnis gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist daher insoweit nicht zu beklagen.

Gleiches gilt im Hinblick auf die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge. Die dahingehende Typisierung obliegt der grundsätzlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Sie ist erst dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die Höhe der Säumniszuschläge unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist. Einen solchen Rechtfertigungsmangel sieht der beschließende Senat ‑auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus‑ nicht.

Auch unionsrechtliche Grundsätze (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) führen ‑jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung‑ nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer. Der Senat verweist zur Begründung auf den zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten BFH-Beschluss vom 23. Mai 2022 - V B 4/22 (AdV), Rz 33 ff. (siehe unseren Blogbeitrag), dem er sich insoweit inhaltlich uneingeschränkt anschließt.

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 28. Oktober 2022 (VI B 15/22 (AdV)), veröffentlicht am 24. November 2022.

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