EuGH: Umsatzsteuerliche Organschaft prinzipiell mit EU-Recht vereinbar
In zwei Entscheidungen hat sich der Europäische Gerichtshof zur Ausgestaltung der umsatzsteuerlichen Organschaft geäußert. Die Luxemburger Richter haben dabei zunächst entschieden, dass die Bestimmung des Organträger als einzigen Steuerschuldner für den Organkreis rechtens ist. Darüber hinaus bleiben allerdings einige Detailfragen offen, die nun seitens des Bundesfinanzhofes im Zuge seiner beiden Schlussurteile geklärt werden müssen.
1. Hintergrund
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in zwei Vorabentscheidungsersuchen mehrere Fragen zur umsatzsteuerlichen Organschaft vorgelegt (XI R 16/18, Vorlage vom 11.12.2019, EuGH C-141/20 „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, sowie V R 40/19, Vorlage vom 7.5.2020, EuGH C-269/20 „Finanzamt T“).
Der V. Senat des Bundesfinanzhofs hat zu entscheiden, ob beziehungsweise inwieweit es sich um eine unentgeltliche Wertabgabe des Organträgers handelt, wenn die Organgesellschaft Leistungen für den hoheitlichen Bereich des Organträgers erbringt (Beschluss vom 7. Mai 2020 - V R 40/19). Dies insbesondere wegen einer dem EuGH bereits vorher vorliegende Frage des XI. Senats (BFH-Beschluss vom 11.12.2019 - XI R 16/18), wodurch Zweifel an einer zutreffenden Auslegung des Unionsrechts entstanden sind.
- BFH Vorlagefall XI R 16/18 – EuGH C‑141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie
Der Streitfall betrifft das Jahr 2005 und die Frage, ob die für die umsatzsteuerliche Organschaft erforderliche finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft auch dann vorliegt, wenn der Organträger zwar über eine Mehrheitsbeteiligung der Klägerin von 51 % an der Organgesellschaft, aber nur über einen Stimmrechtsanteil von 50 % in der Gesellschafterversammlung verfügt.
- BFH-Vorlagefall V R 40/19 – EuGH C-269/20, Finanzamt T
In diesem Vorlagefall hat der BFH den EuGH im Wesentlichen um Auskunft darüber ersucht, ob es zulässig ist, dass ein Mitgliedstaat nicht die Mehrwertsteuergruppe als solche (den „Organkreis“), sondern ein bestimmtes Mitglied dieser Gruppe, nämlich die herrschende Gesellschaft (den „Organträger“), als Steuerpflichtigen für Mehrwertsteuerzwecke bestimmt.
Mit seiner zweiten Frage sollte geklärt werden, ob im Fall einer Einrichtung, die zum einen wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, für die sie Steuerpflichtiger ist, und zum anderen Tätigkeiten, die sie im Rahmen ihrer öffentlichen Gewalt ausübt und für die sie nach Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit ist, die Erbringung von Dienstleistungen aus dem Bereich ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit für den Bereich ihrer Hoheitstätigkeit steuerpflichtig ist.
2. Schlussanträge der Generalanwältin (GA)
Zu beiden Vorabentscheidungsersuchen ist die Generalanwältin Medina in Ihren Schlussanträgen der Auffassung, dass die deutsche Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft gleich in mehrfacher Hinsicht mit der Richtlinienregelung zur Mehrwertsteuergruppe nicht vereinbar ist. Siehe hierzu unseren zusammenfassenden Blogbeitrag vom 27. Januar 2022.
3. Resümee und Folgen der beiden EuGH-Entscheidungen
Der Organträger ist zulässigerweise Steuerschuldner. Die Bestimmung des Organträgers als einzigen Steuerpflichtigen dürfe laut EuGH jedoch nicht zu Steuerverlusten oder -ausfällen führen. Darüber hinaus war auch die für Organgesellschaften bestehende Haftung nach § 73 Abgabenordnung von Relevanz, denn - so der EuGH – „selbst wenn (…) sämtliche mehrwertsteuerlichen Pflichten auf dem Organträger als Vertreter der Mehrwertsteuergruppe vor den Finanzbehörden lasten, können diese sich diese gestützt auf § 73 AO gegebenenfalls an die anderen Mitglieder der Gruppe halten.“
Der Organträger der Mehrwertsteuergruppe kann zum einzigen Steuerpflichtigen bestimmt werden, wenn dieser in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und somit eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer ermöglicht wird (RZ. 56 im Urteil C‑141/20).
Zu den Eingliederungsvoraussetzungen weist der EuGH erneut darauf hin, dass ein Abstellen auf ein Über- und Unterordnungsverhältnis nicht dem EU-Recht entspricht. Insofern könne auch eine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften möglich sein.
Weiterhin stellt der EuGH fest, dass es für die finanzielle Eingliederung allein auf eine Mehrheitsbeteiligung ankommt. Nicht erforderlich ist hingegen eine Stimmmehrheit des Organträgers.
Die Erbringung einer Dienstleistung aus dem Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit für den Bereich der Hoheitstätigkeit löst keine Wertabgabebesteuerung nach Artikel 6 Abs. 2 Buchst. b der MwStRL aus (RZ. 55 bis 63 im Urteil C‑269/20).
Unklar bleibt, wie mit Innenleistungen zu verfahren ist. Der EuGH hat offengelassen, ob Innenleistungen im Organkreis – wie bislang – nicht steuerbar sind.
Fundstelle
EuGH, Urteile vom 1. Dezember 2022 C-141/20 Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie und C-269/20 Finanzamt T.