Update: Weiteres Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zum Direktanspruch

Nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs soll der EuGH in einem Fall mit Auslandsbezug klären, ob ein Direktanspruch auf Erstattung von Umsatzsteuer gegen die Finanzbehörde geltend gemacht werden kann, wenn der leistende Unternehmer aufgrund von Insolvenz nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.

Ausgangslage und Sachverhalt (in Kürze)

Streitgegenstand war die Frage, ob eine Vorsteuererstattung im Billigkeitswege zu erfolgen hatte. Die Klägerin schloss mit der E-GmbH mehrere sale-and-lease-back-Geschäfte. Dazu verkaufte die E-GmbH das jeweilige Boot (welches sie zuvor von der in Italien ansässigen E-sr erworben hatte) an die Klägerin zuzüglich inländischer (deutscher) Mehrwertsteuer. Die Klägerin zahlte den Kaufpreis an die E-GmbH. Die Klägerin zog die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer in ihren Umsatzsteuererklärungen als Vorsteuer ab.

Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Lieferung der Boote sei in Deutschland nicht steuerbar gewesen, da es sich um Lieferungen ohne Beförderung gehandelt habe, die nach Artikel (Art.) 31 der Richtlinie 2006/112/EG und § 3 Abs. 7 Umsatzsteuergesetz (UStG) am Belegenheitsort der Boote, das heißt in Italien, steuerbar seien. Die von der E-GmbH der Klägerin in Rechnung gestellte inländische Umsatzsteuer werde von dieser geschuldet und sei daher von der Klägerin nicht als Vorsteuer abziehbar.

Insolvenz des Leistenden: Über das Vermögen der E-GmbH wurde später das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter der E-GmbH widerrief den Umsatzsteuerausweis in Höhe aus den Rechnungen über die Lieferung der Boote. Insofern ist nun fraglich, ob ein Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Fiskus hergeleitet werden kann, da zivilrechtliche Erstattungsansprüche auf Grund der Insolvenz der E-GmbH nicht mehr durchsetzbar seien und die Klägerin daher zu Unrecht mit Umsatzsteuer belastet sei. Das Finanzgericht hatte die Klage abgewiesen.

Der BFH legt nun dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Steht einem Leistungsempfänger mit Ansässigkeit im Inland ein sog. Direktanspruch gegen die inländische Finanzverwaltung entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05 (EU:C:2007:167) zu, wenn

(a) dem Leistungsempfänger von einem Leistenden, der gleichfalls im Inland ansässig ist, eine Rechnung mit inländischem Steuerausweis erteilt wird, die der Leistungsempfänger bezahlt, wobei der Leistende die in der Rechnung ausgewiesene Steuer ordnungsgemäß versteuert,

(b) es sich bei der in Rechnung gestellten Leistung aber um eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Leistung handelt,

(c) dem Leistungsempfänger daher der Vorsteuerabzug im Inland versagt wird, da es an einer im Inland gesetzlich geschuldeten Steuer fehlt,

(d) der Leistende die Rechnung daraufhin dahingehend berichtigt, dass der inländische Steuerausweis entfällt und sich der Rechnungsbetrag daher in Höhe des Steuerausweises mindert,

(e) der Leistungsempfänger aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden Zahlungsansprüche gegen den Leistenden nicht durchsetzen kann und

(f) für den im anderen Mitgliedstaat bislang nicht registrierten Leistenden die Möglichkeit besteht, sich in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen könnte, die den Leistungsempfänger in diesem Mitgliedstaat zum Vorsteuerabzug im besonderen Verfahren nach der Richtlinie 2008/9/EG zum Vorsteuerabzug berechtigen würde?

2. Kommt es für die Beantwortung dieser Frage darauf an, dass die inländische Finanzverwaltung dem Leistenden aufgrund der bloßen Rechnungsberichtigung die Steuerzahlung erstattet hat, obwohl der Leistende aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nichts an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat?

Hinsichtlich seiner ersten Vorlagefrage ist der BFH der Auffassung, dass der sog. Direktanspruch der grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigten Klägerin gegen das Finanzamt auf der Grundlage des EuGH-Urteils HUMDA vom 13.10.2022 (C-397/21) zu bejahen sein könnte, da die Umstände des Streitfalls weitgehend denen der Rechtssache HUMDA entsprechen.

Bezüglich der zweiten Vorlagefrage ist für den BFH zweifelhaft, an wen die Finanzverwaltung die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer in Insolvenzfällen zu erstatten hat. Der BFH versteht die Rechtsprechung zum Direktanspruch u.a. in der Weise, dass eine rechtsgrundlos in der Kette Rechnungsempfänger-Rechnungsaussteller-Finanzamt gezahlte Steuer grundsätzlich ebenso entlang dieser Kette zurückzuzahlen ist.

Update + Anmerkung: Zum Thema „Direktanspruch“ war beim EuGH seit Juli 2022 bereits ein Verfahren anhängig, welches vom Finanzgericht Münster initiiert wurde.

Dort geht es um die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der von ihm an seine Vorlieferanten zu viel gezahlten Mehrwertsteuer einschließlich der Zinsen unmittelbar gegen die Finanzbehörde zusteht und - unter den Umständen im Streitfall - die Gefahr besteht, dass die Finanzbehörde möglicherweise und dieselbe Mehrwertsteuer möglicherweise zweimal erstatten muss. 

Hier hat der EuGH mit Urteil vom 7. September 2023 entschieden, dass dem Empfänger von Lieferungen ein Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer (einschließlich der damit zusammenhängenden Zinsen), die er an seine Lieferer gezahlt hat, unmittelbar gegen die Steuerbehörde dann zusteht, wenn er unter anderem, ohne dass ihm Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können, diese Erstattung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr von diesen Lieferern fordern kann (hierzu unser Blogbeitrag vom 8. September 2023).

Fundstelle

BFH, EuGH-Vorlage vom 03. November 2022 (XI R 6/21), veröffentlicht am 16. Februar 2023.

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