EuGH-Schlussanträge: Unzulässige staatliche Beihilfen in Form von Steuervorbescheiden?

In ihren am 4. Mai 2023 veröffentlichten Schlussanträgen vertritt die Generalanwältin Kokott die Auffassung, dass die Europäische Kommission zu Unrecht festgestellt hat, dass Luxemburg der Engie-Gruppe unzulässige staatliche Beihilfen in Form von Steuervorbescheiden ("tax rulings") gewährt hat. Sie empfiehlt dem EuGH daher, das angefochtene Urteil des Europäischen Gerichts (EuG) aufzuheben und den betreffenden Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären.

Hintergrund

Die Kommission stellte mit Beschluss vom 20. Juni 2018 fest, dass Luxemburg der Engie-Gruppe im Rahmen von Umstrukturierungen innerhalb Luxemburgs unzulässige staatliche Beihilfen gewährt habe. Der Gruppe sei in Steuervorbescheiden eine steuerliche Behandlung zugesagt worden, wonach nahezu alle von zwei Tochtergesellschaften in Luxemburg erzielten Gewinne letztlich unversteuert blieben. Denn obwohl auf Ebene der operativen Tochtergesellschaften nur eine niedrige Besteuerung auf der Grundlage einer vereinbarten Bemessungsgrundlage erfolgte, kamen die Muttergesellschaften in den Genuss der Steuerbefreiung für Beteiligungserträge (Schachtelprivileg). Dadurch sei der Engie-Gruppe in Abweichung vom luxemburgischen Steuerrecht ein selektiver Vorteil gewährt worden. Zudem habe die Finanzverwaltung unzulässigerweise davon abgesehen, eine Vorschrift zur Vermeidung von Missbräuchen anzuwenden.

Das von der Engie-Gruppe und Luxemburg angerufene Gericht der EU (EuG) schloss sich der Sichtweise der Kommission vollumfänglich an und wies die Klagen ab. Die Engie-Gruppe und Luxemburg haben daraufhin Rechtsmittel beim EuGH eingelegt.

Schlussanträge

In ihren Schlussanträgen schlägt Generalanwältin (GA) Juliane Kokott dem EuGH vor, den Rechtsmitteln stattzugeben und folglich das Urteil des Gerichts aufzuheben und den Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären.

Die GA weist zunächst darauf hin, dass Steuervorbescheide nicht per se unzulässige Beihilfen seien. Sie seien ein wichtiges Instrument, um Rechtssicherheit zu schaffen. Beihilferechtlich seien sie unproblematisch, solange sie allen Steuerpflichtigen offenstehen und dem jeweiligen nationalen Steuergesetz entsprechen, das den alleinigen Referenzrahmen bilde.

Hier seien die Kommission und das Gericht bereits von einem falschen Referenzrahmen ausgegangen. Sie hätten nämlich angenommen, dass das damals geltende luxemburgische Steuerrecht ein Korrespondenzprinzip enthielt, d.h. dass eine Steuerbefreiung für Beteiligungserträge auf der Ebene der Muttergesellschaft eine Besteuerung der zugrundeliegenden Gewinne auf der Ebene der Tochtergesellschaft voraussetzt. Ein solcher Zusammenhang sei jedoch nicht ersichtlich. Über das Beihilferecht könne kein ideales Steuerrecht durch die Unionsorgane gestaltet werden.

Schließlich plädiert die GA für einen ohnehin nur eingeschränkten Prüfungsmaßstab bezüglich steuerrechtlicher Entscheidungen von Finanzbehörden, der sich auf eine Plausibilitätskontrolle beschränke. Nicht jeder fehlerhafte, sondern nur offensichtlich falsche Steuervorbescheide zu Gunsten des Steuerpflichtigen könnten einen selektiven Vorteil darstellen und als Verstoß gegen das Beihilferecht angesehen werden.

Fundstelle

EuGH-Schlussanträge in den Rechtssachen C-454/21 P Engie Global LNG Holding u.a. / Kommission und C-451/21 P Luxemburg / Kommission. - PRESSEMITTEILUNG Nr. 73/23 vom 4. Mai 2023.

Die ausführlichen Schlussanträge finden Sie hier.

Eine englische Zusammenfassung finden Sie in unserem Blog Tax & Legal.

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