Wirksamkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat einer bisher aufsichtsratslosen GmbH – Statusverfahren
A. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die Beteiligten stritten sich über die Wirksamkeit einer bei einer GmbH durchgeführten Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer.
Die GmbH erbrachte Call-Center-Dienstleistungen; ihre Satzung sah die Errichtung eines Aufsichtsrats nicht vor. Sie war ein Tochterunternehmen einer weiteren GmbH und wurde im Jahr 2018 mit einer weiteren Tochtergesellschaft verschmolzen. Mitte Juni 2019 waren bei ihr in sieben Betrieben an verschiedenen Standorten insgesamt 2026 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Unternehmen war Gesamtbetriebsrat errichtet. Mit Bekanntmachung vom 21.November 2018 wurden die Beschäftigten darüber informiert, dass bei ihr ein Aufsichtsrat nach dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestG) zu bilden sei, nachdem im Mai 2018 ursprünglich die verschmolzene GmbH von dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat zur Bildung eines Aufsichtsrats nach dem MitbestG aufgefordert worden war.
Im Januar 2019 wurden ein Unternehmenswahlvorstand sowie sieben Betriebswahlvorstände gebildet. Mit Datum vom 25. Januar 2019 wurden die Bekanntmachungen über die Einreichung von Wahlvorschlägen ausgehängt. Hierin wurde vermerkt, dass nach den Regeln des MitbestG sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu wählen seien. Mit weiterem Aushang vom gleichen Tage machten die Betriebswahlvorstände die Art der Wahl bekannt. In diesem Aushang führte der Unternehmenswahlvorstand aus, dass Voraussetzung für die Beschlussfassung über einen Antrag auf eine Wahl durch Delegierte eine Beteiligung von mindestens der Hälfte der Wahlberechtigten an der Abstimmung sei, was der Zahl von 1.190 Wahlberechtigten entspreche. Ebenfalls am 25. Januar 2019 erfolgte eine Bekanntmachung über die Abstimmung für den Wahlvorschlag der leitenden Angestellten.
Am 23. Juli 2019 wurde der Unternehmenswahlvorstand zum Abbruch der Wahl aufgefordert, weil die Zahl der in der Regel Beschäftigten im Hinblick auf die beabsichtigte Schließung ihres Standorts in Deutschland dauerhaft unter 2.000 gesunken sei. Nach Ablehnung dieser Aufforderung seitens des Unternehmenswahlvorstands wurden bei der durchgeführten Wahl drei mittlerweile aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedene Beschäftigte als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer sowie im Wahlgang der leitenden Angestellten durch Losentscheid gewählt.
Zum 1. September 2019 legte die GmbH ihren Betrieb in Deutschland still. Aufgrund dessen reduzierte sich die Zahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer auf 1.831. Am 20. März 2020 veröffentlichte die Geschäftsführung im Bundesanzeiger (BAnz.) eine Bekanntmachung „gem. § 27 EG-AktG iVm § 97 Abs. 1 AktG über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats“, ausweislich derer sie „spätestens seit dem 1. September 2019 regelmäßig mehr als 500, jedoch nicht mehr als 2.000 Arbeitnehmer“ beschäftigt und nach ihrer Auffassung „ein Aufsichtsrat zu bilden“ sei, „der sich nach den Regelungen der §§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 4 Abs. 1 DrittelbG (Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat) zusammensetzt“.
Mit beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift wurde geltend gemacht, die am 30. und 31. Juli 2019 durchgeführte Wahl sei nichtig, hilfsweise anfechtbar. Bei einem Streit, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH ein Aufsichtsrat nach den Bestimmungen des MitbestG oder des DrittelbG zu bilden sei, müsse vor der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer das aktienrechtlich vorgesehene Statusverfahren vor dem dafür allein zuständigen Landgericht durchgeführt werden. Daran ändere sich nichts, wenn der Streit erst nach Einleitung der Wahl entstehe. Eine – wie hier – dennoch durchgeführte Wahl sei nichtig. Jedenfalls erweise sich die streitbefangene Wahl wegen gravierender Fehler im Wahlverfahren als anfechtbar.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer wegen der damit verbundenen weitreichenden Folgen nur in besonderen Ausnahmefällen nichtig sei. Von einem solchen Ausnahmefall sei auszugehen, wenn bei der Wahl gegen fundamentale Wahlgrundsätze in so hohem Maße verstoßen wurde, dass nicht einmal mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorliege.
Für die am 30./31. Juli 2019 durchgeführte, erstmalige Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat fehle es an der Voraussetzung des Statusverfahrens nach §§ 97 ff. AktG. Dieses hätte vor der Einleitung der Wahl – ungeachtet eines in diesem Zeitpunkt nicht bestehenden Streits über das einschlägige Mitbestimmungsstatut – durchgeführt werden müssen. Ohne seine vorherige Durchführung sei eine nach Maßgabe des MitbestG durchgeführte Wahl von Arbeitnehmervertretern für den Aufsichtsrat bei einer – wie hier – bisher aufsichtsratslosen GmbH nichtig.
Die Durchführung des Statusverfahrens der §§ 97 ff. AktG vor einer Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach Maßgabe des MitbestG sei bei einer bisher aufsichtsratslosen GmbH mitbestimmungs- und aktienrechtlich vorgegeben.
Denn nach § 1 Abs. 1 MitbestG haben in Unternehmen, die unter anderem in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben werden und in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, die Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht nach Maßgabe des MitbestG. Nach § 6 Abs. 1 MitbestG sei bei den in § 1 Abs. 1 MitbestG bezeichneten Unternehmen – soweit sich dies nicht schon aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt – ein Aufsichtsrat zu bilden. Eigenständige Bedeutung habe diese Vorschrift im Wesentlichen für die GmbH, da Aktiengesellschaften (§§ 95 ff. AktG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (§ 278 Abs. 3 iVm §§ 95 ff. AktG) sowie Genossenschaften (§ 9 Abs. 1 GenG) bereits nach den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Aufsichtsratsbildung verpflichtet seien. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 MitbestG bestimme sich die Bildung und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach den §§ 7–24 des MitbestG und, soweit sich dies nicht schon aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergebe.
§ 27 EGAktG bestimme, dass die unmittelbar nur für Aktiengesellschaften geltenden §§ 96 Abs. 4, 97–99 AktG unter anderem auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung sinngemäß anzuwenden seien. Aus all dem folge, dass stets und ungeachtet eines Streits über die Voraussetzungen der Anwendung des MitbestG das Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG durchzuführen sei, bevor in einer GmbH erstmals der nach dem MitbestG obligatorische Aufsichtsrat gebildet und eine Wahl von Arbeitnehmern als Aufsichtsratsmitglieder eingeleitet werde.
B. Praxishinweis
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt anschaulich, dass auch im Rahmen von konzerninternen Restrukturierungen stets darauf zu achten ist, ob Schwellenwerte im Hinblick auf das DrittelbG und das MitbestG überschritten oder unterschritten werden. Des Weiteren zeigen die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts, dass bei der erstmaligen Einrichtung eines Aufsichtsrats bei einer GmbH stets ein Statusverfahren nach den §§ 97 AktG durchgeführt werden muss, im Rahmen dessen die ordnungsgemäße Besetzung des Aufsichtsrats nach den Aspekten der Mitbestimmung zutreffend zusammengesetzt ist.
Die Brisanz des Themas „Mitbestimmung“ zeigt sich auch darin deutlich, dass das Bundesarbeitsgericht mit seinem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 17. Mai 2022 (Az. 1 ABR 37/20 (A)) mehrere Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Mitbestimmung dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt hat.
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