Dispute Resolution Update – Die Abhilfeklage kommt: Bundesrat verzichtet auf Einspruch
Verbraucherverbände werden künftig von dem neuen kollektiven Rechtsschutzinstrument der Abhilfeklage Gebrauch machen können. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. September 2023 das vom Bundestag am 7. Juli 2023 verabschiedete Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) gebilligt.
- Anmeldung noch bis zu drei Wochen nach dem ersten Termin möglich (spätes „Opt-in“)
- Erforderliche Verbraucheranzahl muss nur noch nachvollziehbar dargelegt werden
- Regeln zur Prozessfinanzierung wurden verschärft
- Entscheidung des Sachverwalters künftig im Widerspruchsverfahren nachprüfbar
- Anforderungen an die Gleichartigkeit der Verbraucheransprüche wurden gelockert
- Ausblick und Fazit
Verfasst von Dr. Thorsten Bonheur und Jakob Frank
Nach Gegenzeichnung durch Bundesminister Buschmann sowie Bundeskanzler Scholz wird das Gesetz vom Bundespräsidenten Steinmeier ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet werden und in den wesentlichen Teilen am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Mit dem VRUG wird die EU-Verbandsklagenrichtlinie 2020/1828 umgesetzt, deren Ziel es ist, den Zugang der Verbraucherinnen und Verbraucher zur Justiz zu verbessern. Wesentlicher Teil dieses Vorhabens ist das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz („VDuG“), mit dem die sog. Abhilfeklage eingeführt wird. Mit dieser Abhilfeklage wird die bereits im Jahr 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage nunmehr um eine auf Leistung (z.B. Schadensersatz) gerichtete Klagemöglichkeit erweitert.
Das Gesetz führt zu einer Neuregelung des deutschen Kollektivrechtsschutzes. Die Abhilfeklage ermöglicht es qualifizierten Verbraucherverbänden, zugunsten von Verbraucherinnen und Verbrauchern und diesen gleichgestellten kleinen Unternehmen Klage gegenüber Unternehmen auf direkte Abhilfe/Leistung (bspw. Schadensersatz) zu erheben. Das ist einer der zentralen Unterschiede zur bereits bisher (und auch künftig) möglichen Musterfeststellungsklage, die es den angerufenen Gerichten nur erlaubt, für die in einer solchen Musterfeststellungsklage angemeldeten Verbraucherinnen und Verbrauchern bindende tatsächliche oder rechtliche Feststellungen zu treffen. Bislang sind Verbraucherinnen und Verbraucher gezwungen, im Anschluss an eine solche Musterfeststellungsklage jeweils individuell eine auf Leistung (bspw. Schadensersatz) gerichtete Klage zu erheben.
Die nun im Bundesrat behandelte Fassung des VRUG weicht aufgrund der vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vorgeschlagenen Änderungen (BT-Drs. 20/7631) teils deutlich von dem Referenten- und Regierungsentwurf ab, über die wir am 5. Oktober 2022 und am 28. April 2023 berichteten.
Anmeldung noch bis zu drei Wochen nach dem ersten Termin möglich (spätes „Opt-in“)
Der Zeitraum, zu dem Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ansprüche beim Bundesamt für Justiz (BfJ) spätestens geltend machen müssen, ist im Laufe des Gesetzgebungsprozesses immer weiter nach hinten verlegt worden. Das Gesetz lässt gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 VDuG eine An- und Abmeldung von Ansprüchen bis zu drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu. Die Regelung soll potenziell Geschädigten ermöglichen, den Verlauf der mündlichen Verhandlung abzuwarten, um ein Indiz für die Erfolgsaussichten der Klage zu erhalten. Ein Urteil, von dem Betroffene ihre Anmeldung auch abhängig machen könnten, darf es bis zu diesem Zeitpunkt indes noch nicht geben. Nach § 13 Abs. 4 VDuG darf dieses erst frühestens sechs Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergehen.
Die gesetzgeberische Entscheidung für ein verhältnismäßig spätes „Opt-in“ erschwert es Unternehmen, zielführende Vergleichsverhandlungen zu führen, da die endgültige Anzahl der Anmeldungen und damit der von einem Vergleich möglicherweise erfassten Verbraucher bis drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung schlicht nicht bekannt ist.
Erforderliche Verbraucheranzahl muss nur noch nachvollziehbar dargelegt werden
Zudem sind die Anforderung an das erforderliche Verbraucherquorum gesunken. Während der Regierungsentwurf noch vorsah, dass die klageberechtigte Stelle glaubhaft macht, dass 50 Verbraucherinnen und Verbraucher von der Abhilfeklage betroffen sind, muss sie gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 VDuG nun nur noch nachvollziehbar darlegen, dass mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbraucher betroffen sein können.
Es wird sich zeigen, ob die Lockerung einen ausreichenden und effektiven Schutz vor etwaig missbräuchlichen Abhilfeklagen bietet.
Regeln zur Prozessfinanzierung wurden verschärft
Die Anforderungen an eine Prozessfinanzierung durch Dritte wurden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens verschärft.
Zwar war bereits nach den Vorentwürfen eine Prozessfinanzierung unzulässig, wenn (i) der Dritte ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist, (ii) er vom verklagten Unternehmer abhängig ist oder (iii) zu erwarten ist, dass er die Prozessführung zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher beeinflussen wird. Darüber hinaus ist die Prozessfinanzierung nun auch dann unzulässig, wenn dem Dritten ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmen zu erbringenden Leistung von mehr als 10 % versprochen ist. Zudem muss die klageberechtigte Stelle gemäß § 4 Abs. 3 VDuG nun bereits mit Klageeinreichung dem Gericht unaufgefordert die Herkunft der Mittel, mit denen die Klage finanziert wird, offenlegen. Wird sie durch einen Dritten finanziert, ist auch die mit dem Prozessfinanzierer getroffene Abrede offenzulegen.
Ob es, wie Prozessfinanzierer bereits teilweise drohen, daher tatsächlich zu einer Abwanderung in andere Mitgliedstaaten („forum shopping“) kommen wird, weil dort teilweise weniger strenge Regelungen gelten, wird sich erst zeigen. Die nationalen Verbraucherzentralen, die als qualifizierte Verbraucherverbände voraussichtlich häufig als Klageparteien auftreten werden, werden auch (und mutmaßlich solide) aus öffentlichen Mitteln finanziert und dürften auf eine unmittelbare Prozessfinanzierung damit nicht angewiesen sein.
Entscheidung des Sachverwalters künftig im Widerspruchsverfahren nachprüfbar
Das Gesetz enthält auch eine weitere Beschwerdemöglichkeit, welche in keinem der Vorentwürfe vorgesehen war. Nach abgeschlossenem Abhilfeverfahren prüft der Sachwalter im Umsetzungsverfahren – nach Vorgaben des Gerichtes – jeden einzelnen Anspruch und teilt den Angemeldeten mit, ob ihr individueller Anspruch berechtigt oder unberechtigt ist.
Gegen diese Entscheidung steht der Widerspruch offen, über welchen der Sachwalter selbst entscheidet. Bisher war vorgesehen, dass hierüber eine unanfechtbare Entscheidung ergehen sollte. Nun können die Beschwerten gemäß § 28 Abs. 4 VDuG beim Prozessgericht des Abhilfeverfahrens binnen zwei Wochen eine gerichtliche Entscheidung über die Widerspruchsentscheidung beantragen. Dies gilt sowohl für die Verbraucher- als auch die Unternehmerseite. Der Anwaltszwang gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO besteht nicht.
Anforderungen an die Gleichartigkeit der Verbraucheransprüche wurden gelockert
Ferner wurde das Kriterium der erforderlichen Gleichartigkeit der Verbraucheransprüche gelockert. In den Gesetzesentwürfen war die Abhilfeklage nur dann zulässig, wenn die von der Klage betroffenen Ansprüche gleichartig sind. Nach § 14 Abs. 1 VDuG genügt es, dass die Ansprüche im Wesentlichen gleichartig sind. Hierdurch erhalten die Gerichte weiteren Spielraum bei der Frage, in welchen Fällen Verbraucheransprüche gemeinsam geltend gemacht werden können.
Ausblick und Fazit
Es wird sich zeigen, ob die neue Verbandsklage der vom Gesetzgeber angekündigte „game changer“ wird und auf welche Risiken sich Unternehmen einstellen werden müssen. Ob es durch die Abhilfeklage eine tatsächliche Erleichterung für die Durchsetzung von Verbraucherrechten bei gleichzeitiger Entlastung der Gerichte geben wird oder sich andere Möglichkeiten eher durchsetzen, bleibt genauso spannend wie die Frage, ob wegen der durch den deutschen Gesetzgeber geschaffenen Hürden für eine Prozessfinanzierung mit einer Abwanderung der Kläger in andere Mitgliedstaaten zu rechnen ist. Unternehmen werden sich aber darauf einstellen müssen, dass jedenfalls die solide finanzierten Verbraucherzentralen erste Anwendungsfälle für die Abhilfeklage schnell finden werden.
Ein Schwerpunkt der Dispute Resolution Praxis von PwC Legal ist die Vertretung von Unternehmen bei der Abwehr von Kollektiv- und Massenklagen, wobei auch state-of-the-art Legal Tech-Lösungen zum Einsatz kommen. Insbesondere bei dem schon bislang vorgesehenen Instrument des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Recht – der Musterfeststellungsklage – hat das Dispute Team umfangreiche Praxiserfahrungen. Gleiches gilt für die Abwehr von Verbandsklagen nach dem UKlaG.
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