EuGH-Schlussanträge: Begründung einer festen Niederlassung mittels Dienstleistungsvertrag?

Vor dem Europäischen Gerichtshof geht es um die Frage, ob eine deutsche Gesellschaft qua Dienstleistungsvertrag mit einer rumänischen Konzerngesellschaft dort über eine feste Niederlassung für Zwecke der Mehrwertsteuer verfügt und wo der umsatzsteuerliche Leistungsort ist. Die Generalanwältin hat in ihren Schlussanträgen zu den zahlreichen Vorlagefragen ausführlich Stellung genommen. Unter anderem sieht sie die Annahme einer festen Niederlassung der deutschen Gesellschaft in Rumänien skeptisch.

Hintergrund

Die in Rumänien klagende Gesellschaft ist die in Deutschland ansässige Adient Ltd & Co. KG (im Folgenden: Adient DE). Sie gehört zur Adient-Unternehmensgruppe, die ein globaler Zulieferer für Hersteller der Automobilindustrie ist. Im Juni 2016 beauftragte Adient DE die SC Adient Automotive România SRL (im Folgenden: Adient RO) mit einer komplexen Dienstleistung, die sowohl Verarbeitungs- und Montagedienstleistungen für Polsterkomponenten als auch Hilfs- und Verwaltungsdienstleistungen umfasst. Adient RO verfügt über zwei Niederlassungen in Rumänien, in denen die entsprechenden Waren für Adient DE hergestellt werden. Alle Kosten, die Adient RO für die Durchführung der oben genannten Tätigkeiten entstehen, sind in der Gebühr enthalten, die sie der Adient DE in Rechnung stellt. Letztere kauft das Rohmaterial und schickt es zur Verarbeitung an Adient RO.

Adient RO war der Ansicht, dass der Ort der von ihr erbrachten Dienstleistungen in Deutschland liege und hat daher keine rumänische Mehrwertsteuer berechnet und abgeführt. Die dortige Finanzverwaltung stellte hingegen fest, dass Adient RO verpflichtet gewesen sei, die Mehrwertsteuer gegenüber der Adient DE zu erheben, da sich der Ort der Dienstleistungen in Rumänien befunden habe. Adient DE habe mit den beiden Niederlassungen von Adient RO über eine technische und personelle Ausstattung in Rumänien verfügt, so dass sie die Voraussetzungen für eine feste Niederlassung für Mehrwertsteuerzwecke erfüllt seien.

Zusammenfassung der Schlussanträge von Generalanwältin Juliane Kokott:

Das Vorabentscheidungsersuchen umfasst insgesamt acht Vorlagefragen, die von der Generalanwältin wie nachfolgend beantwortet wurden.

Mit der achten Frage soll zunächst geklärt werden, ob überhaupt ein steuerbarer Umsatz vorliegt, wenn die sachlichen und personellen Mittel der einen Konzerngesellschaft (Adient RO), die eine feste Niederlassung der anderen Konzerngesellschaft (Adient DE) darstellen sollen, dazu genutzt werden, sowohl die Leistung zu erbringen als auch zu empfangen.

Antwort: Da dieselbe Ausstattung nicht gleichzeitig für die Erbringung und für den Empfang derselben Dienstleistungen verwendet werden kann, würde selbst bei Annahme einer festen Niederlassung hier kein steuerbarer Umsatz vorliegen. Feste Niederlassungen sind nur unselbständige Teile ein und desselben Steuerpflichtigen. Mithin würden „Leistender“ und „Leistungsempfänger“ in diesem Fall identisch sein, so dass ein nichtsteuerbarer Innenumsatz innerhalb eines Unternehmens vorliegt (Details in RZ 30 - 37 der Schlussanträge).

Mit den Fragen 1, 2, 3 und 7 fragt das Gericht danach, wie innerhalb eines Konzerns eine feste Niederlassung zu bestimmen ist, die als Empfänger einer Dienstleistung anzusehen ist, so dass sich der Ort der Dienstleistung nach dem Ort der festen Niederlassung und nicht nach dem Ort des Stammhauses (dem Sitz des Leistungsempfängers) richtet.

Antwort: Eine eigenständige Konzerngesellschaft (in einem anderen Mitgliedstaat) ist nicht allein aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Verflechtung die feste Niederlassung einer anderen Konzerngesellschaft. Auch ein komplexer Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen kann grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Dienstleistungserbringer einen steuerbaren Umsatz an eine dadurch entstehende feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers erbringt. Der Leistungsort dieser Dienstleistungen ist dabei ebenso unabhängig von der Art der Ausgangsumsätze (Lieferung oder Dienstleistung) des Leistungsempfängers wie von dem Ort des „Verbrauchs“ der konkreten Verarbeitungsdienstleistungen (RZ 38 – 48).

Mit den Fragen 4, 5 und 6 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Adient DE als eine in Rumänien ansässige oder nicht ansässige Person zu betrachten ist. Dies setzt voraus, dass Adient DE dort über eine feste Niederlassung im Mehrwertsteuerrecht verfügt, was gegebenenfalls losgelöst von einer Konzernstruktur zu ermitteln ist.

Antwort: Eine feste Niederlassung liegt erst vor, wenn diese das in einem anderen Mitgliedstaat belegene Stammhaus ersetzt. Mithin kann ein Vertrag mit einem Dienstleistungserbringer nur dann eine feste Niederlassung begründen, wenn er sich nicht allein auf die Erbringung von Dienstleistungen an Gegenständen des Leistungsempfängers bezieht. Adient DE und Adient RO agieren jedoch selbständig in ihren jeweiligen Bereichen, ohne dass durch diese vertraglichen Bestimmungen das Stammhaus von Adient DE, welches über die Fertigung und den Verkauf der Waren vor Ort entscheidet, substituiert werden würde. Der Dienstleistungsvertrag bezieht sich – nach Einschätzung der Generalanwältin - auf mehrere Dienstleistungen von Adient RO in eigenem Namen und auf eigenes Risiko an Produkten der im Ausland ansässigen Adient DE, die anschließend damit eigene Umsätze ausführt. (RZ 60 – 71).

Fundstelle

EuGH-Schlussanträge vom 1. Februar 2024 in der Rechtssache C‑533/22, Adient

Eine englische Zusammenfassung der Schlussanträge finden Sie hier.

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