BAG-Urteile zum Zusammenwirken zwischen gesetzlicher und betrieblicher Arbeitskraftabsicherung
Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente reicht im Fall der Invalidität oft nicht aus, um den Lebensstandard zu sichern. Die betriebliche Invaliditätsversorgung ist deshalb ein wichtiger Baustein für Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, ihren Beruf auszuüben. Gerade in Zeiten von wirtschaftlichen Herausforderungen steigt das Risiko, invalide zu werden. Arbeitnehmer werden deshalb in Zukunft zunehmend betriebliche Invaliditätsleistungen in Anspruch nehmen. Arbeitgeber müssen sich damit auseinandersetzen, ob ihre Zusage auf Invaliditätsleistungen wirksam und rechtssicher ist. Mit den Leistungsvoraussetzungen bei der Invaliditätsversorgung hatte sich das Bundesarbeitsgericht („BAG“) jüngst in seinen Urteilen vom 10. Oktober 2023 (3 AZR 250/22) und vom 21. November 2023 (3 AZR 14/23) wieder zu befassen.
Im Urteil vom 10. Oktober 2023 (3 AZR 250/22) ging es um den häufigen Streitpunkt bei Gesamtzusagen, ob die Invaliditätsleistung davon abhängig gemacht werden kann, dass der Versorgungsberechtigte aus den Diensten des Arbeitgebers ausscheidet. Insbesondere das zuvor ergangene Urteil des BAG vom 13. Juli 2021 (3 AZR 298/20), wonach der vollständige Ausschluss einer betrieblichen Invaliditätsrente vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine unangemessene Benachteiligung darstellt, sorgte in diesem Kontext bislang für eine Verunsicherung bei vielen Arbeitgebern.
Diese Verunsicherung hat das BAG nun beseitigt. Es stellt klar, dass das Erfordernis des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis als weitere, unabhängige Leistungsvoraussetzung für den Bezug einer betrieblichen Invaliditätsleistung, nachdem eine Erwerbsminderung nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben eingetreten ist, nicht zu beanstanden ist. Das Urteil des BAG vom 13. Juli 2021 (3 AZR 298/20) erging zu einer Ausnahmekonstellation: Der Arbeitnehmer musste nach den dortigen Versorgungsbedingungen das Arbeitsverhältnis beenden, ohne zu wissen, ob er einen Anspruch auf die betriebliche Invaliditätsversorgung hatte.
Mit dem Urteil vom 21. November 2023 (3 AZR 14/23) hat das BAG zudem Zweifel beseitigt, ob Arbeitgeber und Betriebsrat für den Bezug einer betrieblichen Invaliditätsleistung grundsätzlich ein Ausscheidenserfordernis vereinbaren können. Die Betriebsparteien verfügen bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarung über Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, solange sie keine Regelung treffen, die die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer unverhältnismäßig beschränkt. Nach dem BAG ist ein Ausscheidenserfordernis jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig, wenn die Invalidität durch den Rentenbescheid des gesetzlichen Sozialversicherungsträgers nachgewiesen ist.
Des Weiteren befasste sich das BAG in diesem Urteil erstmals mit der Frage, ob ältere Betriebsvereinbarungen, die eine Invalidität an das Vorliegen einer „Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit“, also an die veralteten Begriffe aus der Sozialversicherung, knüpfen, eine dynamische Bezugnahme auf das jeweils geltende Sozialversicherungsrecht darstellen. Bislang attestierte das BAG dies nur im Fall von Individual- oder Gesamtzusagen. Nun hat das BAG die für Individual- und Gesamtzusagen geltenden Grundsätze auch auf Betriebsvereinbarungen übertragen.
Auch wenn die Urteile des BAG die meisten Unsicherheiten beseitigt haben, zeigen sie doch, dass die betriebliche Invaliditätsversorgung ein komplexes und dynamisches Rechtsgebiet ist, das eine sorgfältige und individuelle Gestaltung erfordert. Arbeitgeber sollten daher ihre bestehenden Versorgungszusagen, ob als AGB oder als Betriebsvereinbarungen, regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um Rechtsstreitigkeiten und Nachzahlungsrisiken zu vermeiden. Dabei sollten sie insbesondere darauf achten, dass die Leistungsvoraussetzungen für die Invaliditätsrente klar und eindeutig formuliert sind.
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