Bundesgerichtshof entscheidet über die Berechnung von Vorfälligkeitsentschädigungen bei „negativen Zinsen“

Wird ein Darlehen vor Ablauf der Zinsbindungsfrist zurückgezahlt, darf das Kreditinstitut gemäß § 490 Abs. 3 Satz 2 BGB bzw. gemäß § 502 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zahlung einer sogenannten Vorfälligkeitsentschädigung verlangen. Diese dient dazu, der Bank den Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch entsteht, dass sie Zinseinnahmen verliert, die sie bei der Erfüllung des Darlehensvertrages bis zum Ende der ursprünglich vereinbarten Laufzeit erhalten hätte.

Verfasst von Dr. Thorsten Bonheur und Saskia Naomi Merle

Schon öfter musste sich die Rechtsprechung mit der Berechnung der Vorfälligkeitsentscheidung befassen. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 12. März 2024 (Az. XI ZR 159/23) entschieden, dass bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auch ein negativer Wiederanlagezins berücksichtigt werden kann. Die Bank darf also auch denjenigen Schaden geltend machen, der ihr entsteht, weil sie die früher als erwartet zurückerhaltene Darlehensvaluta nicht nur weniger gewinnbringend anlegen kann, sondern – während einer Niedrig-/Negativ­zins­phase – sogar ihrerseits Negativzinsen/Verwahrentgelte entrichten muss.

Ausgangssituation

In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um ein im Jahr 2009 vereinbartes Immobiliar-Darlehen, für das 2014 eine Anschlusszinsvereinbarung getroffen wurde und das der klagende Verbraucher sodann vor Ablauf der Zinsbindungsfrist zurückzahlte.

Das beklagte Kreditinstitut berechnete daraufhin eine Vorfälligkeitsentschädigung, die es nach der sogenannten Aktiv-Passiv-Methode ermittelt hatte. Hierbei handelt es sich um eine von zweien von der Rechtsprechung als grundsätzlich zulässig bewerteten Berechnungsmethoden für Vorfälligkeitsentschädigungen. Bei der Aktiv-Passiv-Methode (grundlegend u.a. BGH, Urteil vom 30. November 2004, Az. XI ZR 285/039) wird unterstellt, dass die Bank die vorzeitig zurückgeflossene Darlehensvaluta nicht erneut anderweitig ausreicht (ansonsten „Aktiv-Aktiv-Methode“), sondern sie stattdessen am Kapitalmarkt anlegt. Die Vorfälligkeitsentschädigung errechnet sich dann aus der Differenz zwischen den Zinserträgen des ursprünglichen Darlehens und den Renditen laufzeitkongruenter Wiederanlagen in sichere Kapitalmarkttitel (gekürzt um ersparte Verwaltungsaufwendungen und Risikokosten). Bei der streitgegenständlichen Berechnung hatte die Beklagte das seinerzeit am Kapitalmarkt vorherrschende negative Zinsumfeld berücksichtigt und dem Kläger dementsprechend auch Kosten für „negative Zinsen“ berechnet.

Der Kläger klagte auf Rückzahlung der zunächst von ihm gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung. Zur Begründung führte er u.a. aus, dass die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung Teilen der instanzgerichtlichen Rechtsprechung folgend keine „negativen Zinsen“ berücksichtigen dürfe, da das beklagte Kreditinstitut anderenfalls mehr erhielte, als es bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Darlehensvertrages erhalten hätte.

Die erste Instanz (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 24. August 2022, Az. 10 O 1623/22) und die zweite Instanz (OLG Nürnberg, Urteil vom 25. Juli 2023, Az. 14 U 2764/22) gaben dem Kläger im Hinblick auf die Kosten für die „negativen Zinsen“ recht. Eine andere Rechtsauffassung vertrat nun der BGH.

„Negative Zinsen“ sind bei der Berechnung von Vorfälligkeitsentschädigungen zu berücksichtigen

Nach dem aktuellen Urteil des BGH kann bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auch ein negativer Wiederanlagezins berücksichtigt werden. Denn nur hierdurch werde sichergestellt, dass das darlehensgebende Kreditinstitut durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt würde, wie es stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Die vom Darlehensnehmer in solchen Fällen angestrebte Änderung des Darlehensvertrags erschöpfe sich in solchen Fällen allein in der Beseitigung der vertraglichen und zeitlich begrenzten Erfüllungssperre, d.h. in einer Vorverlegung des Erfüllungszeitpunkts.

Soweit das OLG Nürnberg als Vorinstanz zur Begründung seiner Auffassung einen Vergleich mit der Aktiv-Aktiv-Methode angestellt habe, bei der von der Prämisse auszugehen sei, dass die vorzeitig zurückgewährte Darlehensvaluta als festverzinslicher Grundpfandkredit bis zum Ende des rechtlich relevanten Zinszeitraums neu ausgereicht werden und der Darlehensnehmer bei Anwendung dieser Methode nach der Rechtsprechung auch keine negativen Zinsen schulden könne, sei dieser unbehelflich. Denn die im Streitfall angewandte Aktiv-Passiv-Methode solle gerade darüber hinweghelfen, dass es einer Bank häufig nicht möglich oder zumutbar ist, durch eine vorzeitige Darlehensablösung frei gewordene Mittel laufzeitkongruent in gleichartige Darlehen anzulegen. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich im Übrigen kein anderes Ergebnis.

Bewertung und Ausblick

Der BGH setzt auf die bewährten Grundsätze der Schadensberechnung und betont in überzeugender Weise die Bedeutung der Differenzhypothese gemäß §§ 249 ff. BGB, für die es auf den Vergleich zweier Vermögenslagen (hier Fortführung des Darlehens bis Ende der Zinsbindungsfrist versus vorzeitige Rückzahlung) ankommt.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen ließen eine Klagewelle von Darlehensnehmerinnen und Darlehensnehmern befürchten, denen bei vorzeitiger Ablösung ihres Darlehens Kosten für „negative Zinsen“ in Rechnung gestellt wurden. Solche Klagen wären für Kreditinstitute insbesondere in Bezug auf Baufinanzierungen und andere Immobiliarkredite von einer nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Bedeutung gewesen. Dank der nunmehr durch den BGH geschaffenen Rechtssicherheit dürfte ihnen jedoch weitgehend der Boden entzogen worden sein.

So könnten Verbraucherinnen und Verbraucher zwar versucht sein einzuwenden, dass sich die Entscheidung des BGH auf die alte Rechtslage vor 2016 bezieht. Damals war eine vorzeitige Rückzahlung bei Immobilardarlehen nur nach vorangehender Kündigung möglich, während sie nunmehr nach Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben gemäß § 500 Abs. 2 BGB nur noch ein berechtigtes Interesse des Darlehensnehmers, wie es beispielsweise bei einer Weitveräußerung der finanzierten Immobilie zu bejahen ist, voraussetzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jedoch kürzlich auf eine Vorlage des BGH hin klargestellt, dass das Unionsrecht in diesem Fall grundsätzlich keine abweichenden Anforderungen an die Berechnung der Vorfälligkeits­entschädigung stellt und dass ein Vorgehen nach den Grundsätzen des deutschen Schadensrechts diesen Anforderungen genügt (EuGH, Urteil vom 14. März 2024, Az. C-536/22; vgl. Merle/Füller, EWiR 2024, 35 f.).

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