Sportwetten: BGH entscheidet über Rückforderung von Wetteinsätzen
Thematisch passend zur laufenden Fußball-Europameisterschaft beschäftigt sich der Bundesgerichtshof aktuell mit einem Verfahren, das Online-Sportwetten zum Gegenstand hat. Es geht um sogenannte „Chargeback-Klagen“. Dabei fordert ein Nutzer eines Sportwetten-Online-Portals vom Anbieter seine verlorenen Wetteinsätze abzüglich der Gewinne zurück.
Verfasst von Dr. Jan Liesenfeld und Moritz Richard
Was war geschehen? In einer Vielzahl an Fällen wetteten in den Jahren 2012 bis 2020 Nutzer auf Sportwetten-Online-Portalen, welche ohne eine – gesetzlich erforderliche – Konzession betrieben wurden. In einigen Fällen fehlte die nötige Konzession allerdings allein deshalb, weil das behördliche Konzessionsverfahren nicht funktionierte. Somit konnte faktisch kein privater Anbieter eine Konzession erlangen – und das über einen Zeitraum von rund acht Jahren. Ob Sportwettenverträge, die vor diesem Hintergrund dennoch geschlossen wurden, nichtig und entsprechende Wetteinsätze zu erstatten sind, entscheidet der BGH voraussichtlich am 25. Juli 2024.
I. Liberalisierung von Sportwetten und ihre gescheiterte Umsetzung
Nach dem Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland von 2008 (GlüStV 2008) waren nur staatliche Sportwetten erlaubt, Online-Glücksspiele waren verboten. Das änderte sich im Jahr 2012: Mit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages in der Fassung vom 1. Juli 2012 (GlüStV 2012) liberalisierten die Länder das Angebot von Sportwetten sowohl stationär als auch im Internet. Für die Dauer von zunächst sieben Jahren („Experimentierphase“, § 10a GlüStV 2012) sollten nach der Neuregelung bis zu 20 private Anbieter eine Erlaubnis für stationäre Sportwetten erhalten können (vgl. §§ 4a-4e GlüStV 2012). Die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet konnte nach der ab 2012 bestehenden Rechtslage ebenfalls erlaubt werden (§ 4 Abs. 5 GlüStV 2012 – abweichend vom vorigen Komplettverbot, § 4 Abs. 4 GlüStV 2008). Fehlte eine Erlaubnis, galten Veranstaltung und Vermittlung der Sportwetten weiter als unerlaubtes Glücksspiel.
Soweit die Theorie. Faktisch wurde die Vergabe von Sportwettenkonzessionen durch verwaltungsgerichtliche Entscheidungen verhindert. Nach der Bewertung von Verwaltungsgerichten war das Verfahren zur Vergabe der Konzessionen nicht transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet. Es verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 f. AEUV. Die Bundesländer vergaben deshalb erst acht Jahre später – ab Oktober 2020 – tatsächlich Konzessionen für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten. In der Zwischenzeit fehlte es privaten Sportwettenanbietern damit an einer deutschen Erlaubnis.
Anders gestaltete es sich nur im Bundesland Schleswig-Holstein. Auf Grundlage des „Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels des Landes Schleswig-Holstein“ erteilte das Land für sein Gebiet durchgehend Erlaubnisse für die Veranstaltung und Vermittlung von Online-Sportwetten. Danach war die Teilnahme jedoch nur Wettenden mit Wohnsitz in Schleswig-Holstein erlaubt.
Andere Bundesländer gingen im Laufe der Zeit dazu über, formelle Duldungsverfahren zu etablieren. Sportwettenangebote ohne Konzession wurden von Glücksspielaufsichtsbehörden in der Regel geduldet.
II. Chargeback-Klagen nach dem Glückspielstaatsvertrag von 2012 und ihre Bewertung durch die Gerichte
Als Grundlage für die Rückforderung verlorener Wetteinsätze wird hauptsächlich der bereicherungsrechtliche Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 2 BGB herangezogen. Mit ihm können Leistungen zurückgefordert werden, wenn sie rechtsgrundlos erfolgten – beispielsweise also Zahlungen, die auf Grundlage eines nichtigen Vertrages erfolgten.
1. Aktueller Stand in der Rechtsprechung
Zu einigen Streitfragen, welche sich in den Chargeback-Verfahren stellen, haben sowohl Oberlandesgerichte als auch der Bundesgerichtshof (BGH, Hinweisbeschluss vom 22. März 2024, Az. I ZR 88/23) bereits Stellung genommen.
Die relevanten Normen des GlüStV 2012, welche das Veranstalten und Vermitteln von Online-Sportwetten verbieten (§ 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 S. 2 GlüStV 2012), sind nach Ansicht des BGH gemäß seinem Hinweisbeschluss Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB, die mit Unionsrecht im Einklang stehen.
Grundsätzlich führe es zwar nicht zur Nichtigkeit des Vertrages, wenn nur eine Vertragspartei – hier der Sportwettenanbieter – gegen das gesetzliche Verbot verstößt. Im Falle der unerlaubten Sportwetten führt nach (vorläufiger) Bewertung des BGH aber auch ein einseitiger Gesetzesverstoß zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 BGB. Wären derartige Verträge wirksam, könnten die Schutzzwecke des Glücksspielstaatsvertrages (Suchtbekämpfung, Kanalisierung des Spieltriebes, Entgegenwirken von Schwarzmärkten, Jugend- und Spielerschutz, Kriminalitätsbekämpfung) nicht hinreichend durchgesetzt werden.
Dass die Aufsichtsbehörden in einigen Bundesländern das Veranstalten bzw. Vermitteln von Online-Sportwetten ausdrücklich duldeten – es nicht aber erlaubten –, hat nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keine Auswirkung darauf, wie die Verträge zwischen Spielern und Anbietern zu bewerten sind. Denn der zivilrechtliche Schutz für private Personen einerseits und die verwaltungsbehördliche Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verhaltenspflichten andererseits stünden grundsätzlich unabhängig nebeneinander. Die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche hinge nicht davon ab, ob Verwaltungsbehörden öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten durchsetzen. Der BGH hat sich zu diesem Thema bislang nicht ausdrücklich geäußert, scheint ihm aber keine Relevanz beizumessen.
2. Konstellation im aktuellen BGH-Verfahren
Nicht geklärt ist eine zentrale Rechtsfrage: Sind Sportwettenverträge als nichtig zu behandeln, wenn der Anbieter zwar wegen des unionsrechtswidrigen Konzessionserteilungsverfahrens keine Erlaubnis für das Veranstalten von Online-Sportwetten hatte, er eine solche Konzession allerdings bereits beantragte und die Voraussetzungen für ihre Erteilung auch erfüllte?
Darum geht es in einem derzeit beim BGH anhängigen Verfahren (Az. I ZR 90/23). Darin argumentiert der Sportwettenanbieter, in dieser (bei ihm zutreffenden) Konstellation könne der mit dem Nutzer geschlossene Vertrag nicht nichtig sein. Das folge aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Weil das Verfahren der Länder zur Konzessionsvergabe unionsrechtswidrig war, könne die Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 in der vorliegenden Konstellation keinerlei Wirkung entfalten. Das Unionsrecht untersage es in dieser Konstellation, einen Anbieter von Sportwetten strafrechtlich zu sanktionieren, wie der EuGH bereits in seiner Ince-Entscheidung festgestellt hat (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2016, Az. C-336/14, Ince). Das Veranstalten bzw. Vermitteln von Online-Sportwetten kann nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in diesen Fällen auch verwaltungsrechtlich nicht untersagt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2016, Az. 8 C 5/15). Es sei damit widersprüchlich, wenn dasselbe Verhalten des Sportwettenanbieters nun zivilrechtlich sanktioniert werde, indem die entsprechenden Wettverträge als nichtig betrachtet würden.
Mit dieser Meinung ist der Sportwettenanbieter im Verfahren nicht allein: Das OLG Frankfurt gelangte zu Beginn des letzten Jahres zu derselben Auffassung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2023, Az. 8 U 102/22). Dass die Anforderungen des Unionsrechts in dieser Konstellation (Antrag gestellt, Voraussetzungen einer Erlaubnis erfüllt) eine zivilrechtliche Sanktion (also: Nichtigkeit des Vertrages) verbieten, hält auch das LG Erfurt für denkbar: Mit einem aufsehenerregenden Hinweisbeschluss vom 29. April dieses Jahres (Az. 8 O 1125/23) teilte es mit, dem EuGH diese Thematik zur Vorabentscheidung vorlegen zu wollen. Unter anderem hält es für klärungsbedürftig, ob das Unionsrecht in diesen Fällen auch der Rückforderung der Wetteinsätze entgegenstehe oder ob die Aussagen des EuGH in der Sache Ince auf strafrechtliche Sanktionen beschränkt sind. Die Frage, ob die Aussagen des EuGH auf das Zivilrecht zu übertragen sind, stellte sich deswegen, weil der EuGH die dortige Aussage vor dem Hintergrund einer strafrechtlichen Sanktion traf.
Gegner dieser Auffassung berufen sich im Wesentlichen darauf, dass das Verhältnis von Staat zu Sportwettenanbieter vom Verhältnis des Sportwettenanbieters zum Nutzer zu trennen sei. Die Nutzer seien unabhängig davon schutzbedürftig, ob der Staat das Verbot verwaltungsrechtlich oder strafrechtlich durchsetzen könne. Wenn weder verwaltungsrechtliche noch strafrechtliche Sanktionen möglich seien, hänge die Verwirklichung der Schutzzwecke des GlüStV 2012 sogar noch stärker von der zivilrechtlichen Nichtigkeitsfolge ab.
Nach den Regelungen des GlüStV 2012 sei zudem die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten grundsätzlich verboten; erst die Erlaubnis an sich habe legalisierende Wirkung. Daran habe sich das Gericht zu halten. Zwar hätten die Gerichte die nationale Rechtsordnung so auszulegen, dass sie im Einklang mit dem Unionsrecht steht. Eine solche Auslegung könnte allerdings dann nicht verlangt werden, wenn der Wortlaut der nationalen Regelung sie nicht zulässt. Gerade das sei hier der Fall – die Regelungen des GlüStV 2012 könnten nicht so interpretiert werden, dass das Verbot nicht bestehe, wenn nur die Voraussetzungen für eine Erlaubnis vorliegen.
Es wird mit Spannung erwartet, wie der BGH dazu entscheiden wird. Interessant ist insbesondere, wie sich der BGH zu einer Vorlage beim EuGH wegen der Frage positionieren wird, ob die Regressmöglichkeit von Wettenden bei Sportwettenanbietern gegen Unionsrecht verstößt. In der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2024 lehnte der erste Zivilsenat es zwar nicht ausdrücklich ab, die Frage dem EuGH zur Klärung vorzulegen. Dass nunmehr aber ein baldiger Verkündungstermin bestimmt ist, sendet jedoch ein recht deutliches Signal dagegen.
3. Klagewelle erwartet
In Deutschland gibt es schon jetzt zahlreiche Klagen, mit denen Spieler die Rückzahlung ihrer verlorenen Wetteinsätze fordern. Seinem Hinweisbeschluss nach tendiert der BGH dazu, zugunsten des Wettenden zu entscheiden. Für entsprechende Konstellationen ist dann höchstrichterlich geklärt, dass Anbieter von Sportwetten die Wetteinsätze zu erstatten haben. Viele rechnen mit einer Welle weiterer Klagen. Kommt sie, dürfte sie immens ausfallen. Der Markt für Sportwetten ist groß. Das zeigt sich exemplarisch anhand der Einnahmen der Länder aus der Sportwettensteuer für 2022. Sie betragen nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen 431,298 Mio. Euro. Hieraus errechnete Prof. Dr. Tilman Becker einen Netto-Umsatz der Anbieter, die die Sportwettensteuer entrichten, von 8,138 Mrd. Euro bzw. ein Bruttoumsatz in der Höhe von 8,569 Mrd. Euro.
Die Durchsetzung stattgebender Urteile könnte jedoch auf Schwierigkeiten stoßen, weil viele Anbieter von Sportwetten in Malta sitzen und dort ein neues Gesetz – die „Bill No. 55“ – die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen einschränkt. Klärungsbedürftig ist, ob dieses maltesische Gesetz im Einklang mit der europäischen Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) steht, die einen freien Rechtsverkehr innerhalb der EU gewährleisten soll.
Soweit Anbieter von Sportwetten Einsätze erstatten müssen, weil sie trotz eines genehmigungsfähigen Antrags keine Konzession erhalten haben, könnten sie Rückgriff beim Staat suchen. Es könnte daher auch zahlreiche Klagen auf Staatshaftung geben.
III. Ausblick: Abgeänderter Rechtsrahmen schafft funktionierendes Erlaubnisverfahren
Über heute geschlossene Verträge über Sportwetten wird das erwartete BGH-Urteil keine Aussage treffen: Die derzeit geltende Fassung des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV 2021) sieht keine Begrenzung an zu vergebenden Konzessionen mehr vor, sondern erlaubt es allen Anbietern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, eine Konzession zu erhalten (vgl. § 4 Abs. 1, 4 GlüStV 2021). Damit entfällt die Auswahlentscheidung zwischen mehreren Sportwettenanbietern, die im Rahmen des Verfahrens des Glücksspielstaatsvertrags 2012 nicht unionsrechtskonform ausgestaltet war. Entsprechend konnte einigen Sportwettenanbietern mittlerweile eine Erlaubnis erteilt werden. Zugelassene Anbieter von Online-Sportwetten sind auf einer sogenannten „Whitelist“ der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder gelistet. Derzeit (Stand 1. Juli 2024) fasst diese Whitelist 30 Anbieter, die zulässige Sportwetten anbieten.
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