Das neue Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – Schneller, weiter, besser?

I.   Überblick

Das bis zum 31. August 2024 befristete Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) läuft aus. Nachdem der Bundestag das Gesetz am 13. Juni 2024 beschlossen und der Bundesrat keinen Einspruch eingelegt hat, wird das novellierte KapMuG noch diesen Sommer in Kraft treten.

II.   Ursprung und Zweck des KapMuG

Die Einführung des KapMuG beruhte auf dem sogenannten Telekom-Verfahren. Rund 16.000 Kläger hatten nach dem Börsengang der Deutschen Telekom AG Kursverluste erlitten und machten wegen unrichtiger Angaben im Verkaufsprospekt Schadensersatzansprüche geltend. Ein Großteil der Verfahren endete erst 22 Jahre nach dem Börsengang mit großangelegten Vergleichsangeboten der Telekom. Das KapMuG soll massenhaft geschädigten Kapitalanlegern ein effektives Instrument zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation an die Hand geben. Ein solches Instrument des kollektiven Rechtsschutzes stand bis dahin nicht zur Verfügung. Es sollte eine Vielzahl von Einzelklagen in Musterverfahren bündeln und insbesondere eine Überlastung der Justiz verhindern, indem Tatsachen- und Rechtsfragen in gleichgelagerten Fällen einheitlich und mit Bindungswirkung für alle durch das Oberlandesgericht geklärt werden. Das Gesetz trat im Jahr 2005 in Kraft.

III.   Unzureichender Status quo

Nach der letzten KapMuG-Reform im Jahr 2012 zeigte sich, dass das Gesetz die angestrebten Ziele verfehlt. Das Verfahren gilt als komplex und langwierig. Als wesentliche Schwächen machte die Bundesregierung in ihrer Entwurfsbegründung die überbordende Anzahl an Verfahrensbeteiligten und die weitgehende Bindung des Oberlandesgerichts an die vom Prozessgericht formulierten Feststellungsziele verantwortlich.

IV.   Gesetzesentwurf der Bundesregierung

Das neu gefasste KapMuG wurde entfristet und stellt nun eine dauerhafte Lösung dar. Gegenüber der bisherigen Rechtslage sieht der Gesetzesentwurf diverse Änderungen vor.

Ein Schwerpunkt des Reformvorschlags war es, die langwierigen Musterverfahren zu beschleunigen. Zur effizienteren Verfahrensgestaltung wird das Ausgangsverfahren vor dem Landgericht nun verkürzt und die Position der Oberlandesgerichte gestärkt. Das Oberlandesgericht kann nunmehr den Gegenstand des Musterverfahrens nach dem Maßstab der Sachdienlichkeit so bestimmen, dass eine effiziente Verfahrensführung bei gleichzeitig möglichst weitgehendem Erhalt der mit dem Musterverfahren bezweckten Bündelung von Verfahren möglich wird, so die Gesetzesbegründung. Die Oberlandesgerichte können somit auch hinter den von den Parteien formulierten Anträgen zurückbleiben.

Ferner wird die Aussetzungspflicht abgeschafft (§ 10 Abs. 2 KapMuG-E). Es soll also keine Pflicht mehr geben, alle anhängigen und künftigen Verfahren auszusetzen und in das Musterverfahren zu überführen. Die Entscheidung über Aussetzung und Teilhabe am Musterverfahren hängt nun von einem Parteiantrag ab. Ziel ist es damit die Zahl der Verfahrensbeteiligten im Musterverfahren zu reduzieren. Damit wurde die überwiegende Kritik der im Rahmen der Sitzung des Rechtsausschusses am 15. Mai 2024 geladenen Sachverständigen an der Aussetzung der Aussetzungspflicht nicht umgesetzt, obwohl die geladenen Praktiker den Grund für die überlange Verfahrensdauer übereinstimmend nicht bei der Vielzahl der Beteiligten im Musterverfahren, sondern in der Komplexität der Materie sahen. Ob sich die in diesem Zusammenhang von den Sachverständigen geäußerten Befürchtungen einer überbordenden Belastung der Justiz mit einer Vielzahl an Parallelverfahren und divergierenden Gerichtsentscheidungen bewahrheiten, wird sich zeigen.

Auf Anregung von Sachverständigen in der Sitzung des Rechtsausschusses wurde der Anwendungsbereich ausgeweitet. Unter anderem erfasst das KapMuG nun auch Anlagebasisinformationsblätter von Schwarmfinanzierungsdienstleistern (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 KapMuG-E), Kryptowerte (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 KapMuG-E) sowie Ratings und Bestätigungsvermerke von Abschlussprüfern als Regelbeispiele für öffentliche Kapitalmarktinformationen (§ 1 Abs. 2 Nr. 9 KapMuG-E). Insbesondere die Ausweitung auf Ratings und Prüfberichte wurde im Rahmen der Sitzung des Rechtsausschusses angeregt, da Ratings und Prüfberichte erheblichen Einfluss auf Anlageentscheidungen haben können. Die Rechtsprechung beurteilte deren Einordnung als öffentliche Kapitalmarktinformation jedoch unterschiedlich. Für künftige Fälle ist nun eine Klarstellung durch den Gesetzgeber erfolgt. Dass diese Frage erhebliche Praxisrelevanz hat, zeigen die aktuell laufenden Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal.

Mit der Novellierung geht auch eine Änderung des Verfahrensrechts einher, die vor allem für die Beklagten erhebliche Bedeutung haben dürfte. Das Oberlandesgericht hat künftig die Möglichkeit, auf Antrag einer der Parteien die Vorlage von Beweismitteln durch die Gegenpartei oder Dritte anzuordnen (vgl. § 17 KapMuG-E). Ziel ist es, vor allem das Informationsungleichgewicht zulasten der Geschädigten zu beheben und zu verhindern, dass geschädigte Anleger ins Ausland gedrängt werden, weil ihre Rechtsstellung dort stärker ausgestaltet ist. Der Gesetzgeber ist damit den Empfehlungen der Sachverständigen im Rechtsausschuss gefolgt, die bestehenden Regeln an die Informationsansprüche im Kartellschadensersatzverfahren (§ 33g GWB) anzulehnen.

Der Gesetzgeber hat indes keine Neuregelung der Verjährungshemmung aufgenommen. Aktuell ist die Verjährungshemmung davon abhängig, dass das Oberlandesgericht den Eröffnungsbeschluss für das Musterverfahren bekanntmacht (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB) und damit die Anmeldung der Ansprüche ermöglicht (§ 13 Abs. 1 KapMuG-RegE). Da sich in der Vergangenheit das Verfahren bis zum Eröffnungsbeschluss häufig verzögerte, reichten viele Beteiligte dennoch Individualklagen ein, um der drohenden Verjährung ihrer Ansprüche zu entgehen. Im Rechtsausschuss wurde vorgeschlagen, die verjährungshemmende Wirkung der Anmeldung vorzuverlagern. Es muss sich zeigen, ob die Bündelungswirkung des Gesetzes dadurch leerzulaufen droht.

Schließlich soll die Digitalisierung des Verfahrens durch digitale Aktenführung dazu beitragen, dass das Verfahren nicht durch langwierige Akteneinsichten verzögert wird.

V.   Ausblick

Das reformierte Gesetz hat das Potential zur Verfahrensbeschleunigung beizutragen und ein effizienteres Instrument des kollektiven Rechtsschutzes zu werden. Viele im Rahmen der Anhörung des Rechtsausschusses von den Sachverständigen vorgeschlagenen Änderungen wurden kurzfristig umgesetzt. Um komplexe Massenverfahren erfolgreich zu bewältigen, braucht es allerdings nicht nur ein effizientes Verfahrensrecht, sondern auch eine gut organisierte und ausgestattete Justiz. Letzteres zu gewährleisten ist primär Aufgabe der Länder.

Das Gesetz soll fünf Jahre nach Inkrafttreten evaluiert werden.

Verfasser dieses Beitrages: Maximilian Drake und Peter Schwab

 

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