Vorabentscheidungsersuchen zum Bestehen eines unionsrechtlichen Anspruchs auf einen Steueranrechnungsvortrag im früheren Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahren
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vier Fragen vorgelegt, bei denen es um das Bestehen eines unionsrechtlichen Anspruchs auf einen Steueranrechnungsvortrag im früheren Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahren geht.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine inländische Aktiengesellschaft (AG), war seit dem Jahr 1992 alleinige Anteilseignerin der inländischen C AG. Diese hielt wiederum seit dem Jahr 1992 Anteile an der griechischen Aktiengesellschaft AE mit Sitz in Griechenland in Höhe von 76,788 % des Grundkapitals. Auf Grundlage des Verschmelzungsvertrags aus dem Jahr 1997 wurde die C AG zum 31.12.1996 auf die Klägerin verschmolzen. Im Zuge der Verschmelzung gingen die Anteile der C AG an der AE auf die Klägerin über.
Das zu versteuernde Einkommen der C AG war seit dem Jahr 1993 bis zu ihrer Verschmelzung negativ. Auch die Klägerin erzielte in den Jahren 1993 bis 2001 (nach gegenwärtigem Stand der Steuerbescheide) ein negatives zu versteuerndes Einkommen. Die Klägerin beziehungsweise die C AG bezogen in den Jahren 1993 bis 2000 die folgenden Bruttodividenden von der AE, die in folgender Höhe mit gegenüber der AE festgesetzter und von der AE gezahlter griechischer Körperschaftsteuer wirtschaftlich vorbelastet waren.
In den Veranlagungen der Jahre 1993 bis 2001 berücksichtigte das Finanzamt die von der C AG beziehungsweise der Klägerin bezogenen Bruttodividenden bei der Ermittlung des (negativen) zu versteuernden Einkommens, welches Grundlage für die Feststellungen der verbleibenden Verlustabzüge wurde. Die von der AE auf diese Dividenden gezahlte griechische Steuer rechnete das Finanzamt weder im jeweiligen Jahr des Dividendenbezugs an noch in dem ersten Jahr, in dem die Klägerin den Verlustvortrag übersteigende Gewinne erzielt hat.
Aufgrund der Verschmelzung der C AG auf die Klägerin zum 31.12.1996 ging der zu diesem Zeitpunkt festgestellte verbleibende Verlustvortrag der C AG gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) in der Fassung (i.d.F.) des Gesetzes zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts vom 28.10.1994 in die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs der Klägerin zum 31.12.1996 ein,
Gegen die Bescheide für 1997 bis 1999 über Körperschaftsteuer sowie über die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31.12.1997, auf den 31.12.1998 und auf den 31.12.1999 erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage, mit der sie die Beseitigung eines Verstoßes gegen das Unionsrecht begehrte, der sich ihrer Ansicht nach aus der fehlenden Anrechnung der griechischen Körperschaftsteuern trotz Kürzung ihres Verlustvortrags um den Betrag der bezogenen Dividenden ergebe.
Ferner erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren gesondert Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2002, mit der sie die indirekte Anrechnung der von der AE auf die ausgeschütteten Gewinne der Jahre 1993 bis 2000 gezahlten griechischen Körperschaftsteuern auf ihre deutsche Körperschaftsteuer des Jahres 2002 begehrte.
Das Niedersächsische Finanzgericht verband die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Die Klage wurde abgewiesen.
Vorlagefragen des BFH
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG nationalen Regelungen entgegen, nach denen Ausschüttungen einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Tochtergesellschaft bei einer Verluste erzielenden inländischen Muttergesellschaft zu einer Kürzung ihres Verlustvortrags in Höhe dieser Ausschüttungen führen, die von der Tochtergesellschaft auf die Ausschüttungen entrichteten Steuern jedoch weder im Jahr des Dividendenbezugs noch in dem Jahr, in dem die Muttergesellschaft die vorgetragenen Verluste übersteigende Gewinne erzielt, angerechnet werden?
2. Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage zu bejahen sein sollte: Ergibt sich dann, wenn ein Mitgliedstaat sich zur Umsetzung der Richtlinie 90/435/EWG in nationales Recht für das in Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG vorgesehene Anrechnungssystem entschieden hat und dieser Mitgliedstaat die Anrechnung deshalb nicht richtlinienkonform ausgestaltet hat, weil er eine Steueranrechnung ausschließlich in dem Jahr des Dividendenbezugs vornimmt, obwohl eine Besteuerung dieser Dividenden wegen im nationalen Recht vorgesehener Verlustvortragsmöglichkeiten auch in späteren Veranlagungszeiträumen eintreten kann, aus der Richtlinie ein Direktanspruch auf eine Steueranrechnung in Form eines Anrechnungsvortrags?
3. Falls die Richtlinie 90/435/EWG keinen Direktanspruch auf einen Anrechnungsvortrag gewährt (Fragen zu 1. und 2.): Ergibt sich ein solcher Anspruch als Folge eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Maastricht bzw. Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Amsterdam, jetzt Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon)?
4. Ergibt sich eine andere Beurteilung der Fragen zu 1. bis 3. für die Dividenden, die die Muttergesellschaft nicht unmittelbar selbst bezogen hat, sondern die ihre ebenfalls ausschließlich Verluste erzielende hundertprozentige Tochtergesellschaft bezogen hatte (hier: Jahre 1993 bis 1996), bevor diese unter Übergang auch ihres Verlustvortrags auf die Muttergesellschaft verschmolzen worden ist?
Fundstelle
BFH, Beschluss vom 26. März 2025 (VIII R 21/22), veröffentlicht am 14. August 2025.