EuGH zur umsatzsteuerlichen Behandlung medizinischer Telefonberatung

Der Europäische Gerichtshof hat heute entschieden, dass telefonische Beratungsleistungen, die eine GmbH im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen durch sogenannte „Gesundheitscoaches“ ausführt, als steuerfreie Heilbehandlungen gelten können. Voraussetzung: Die Leistungen müssen eine therapeutische Zielsetzung verfolgen und die Berater ein vergleichbares Qualitätsniveau wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen aufweisen.

Ausgangslage

Das Finanzamt hatte sich geweigert, telefonische Beratungen zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen sowie telefonische Patientenbegleitprogramme für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidende Patienten, die von einer GmbH im Auftrag gesetzlicher Krankenkassen erbracht werden, von der Mehrwertsteuer zu befreien. Zum Sachverhalt und Vorlagebeschluss des BFH vom 18. September 2018 (XI R 19/15) siehe unseren Blogbeitrag vom 23. Januar 2019. Der BFH ist in seinem Vorlagebeschluss der Auffassung, dass die im Rahmen des Gesundheitstelefons erbrachten Leistungen bei engem Verständnis der Befreiungsvorschriften nicht in deren Anwendungsbereich fallen.

Entscheidung des EuGH

1. Telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten können unter die Mehrwertsteuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie fallen, sofern sie eine therapeutische Zielsetzung verfolgen; dies im Einzelnen zu prüfen sei Sache des vorlegenden Gerichts (erste Vorlagefrage des BFH).

Begründung: Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie (im Gegensatz zu Abs. 1) werden nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH auch solche Leistungen befreit, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden. Der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ erfasse Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Danach ergibt sich nach Dafürhalten der Europarichter folgende Situation:

  • Im vorliegenden Fall ermöglichen die erläuternden Beratungen den betroffenen Personen ihre medizinische Situation zu verstehen und gegebenenfalls Empfehlungen zur Medikamenteneinnahme umzusetzen; sie könnten daher einen therapeutischen Zweck verfolgen und somit unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie fallen.
  • Dagegen fallen Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften über Erkrankungen oder Therapien bestehen, aber aufgrund ihres allgemeinen Charakters nicht geeignet sind, zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen, nicht unter diesen Begriff. Dasselbe gelte für Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften administrativer Art, wie der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle, bestehen.

2. In Art. 132 Abs. 1 Buchst. C der Richtlinie (in Beantwortung der 2. Vorlagefrage des BFH) werde grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass an die betreffenden Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, welche diese Leistungen telefonisch erbringen, zusätzliche Anforderungen an die berufliche Qualifikation gestellt werden. Dies jedoch nur, soweit davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts. Es sei nämlich Sache der Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Ermessens, die beruflichen Anforderungen festzulegen. Dieses Ermessen sei jedoch nicht unbegrenzt, denn die Mitgliedstaaten müssen zum einen das Ziel dieser Vorschrift – zu gewährleisten, dass die Befreiung nur auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin angewandt wird, die von Anbietern mit den erforderlichen beruflichen Qualifikationen erbracht werden – und zum anderen den Grundsatz der Neutralität beachten. Der Neutralitätsgrundsatz verbietet es, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Die Mitgliedstaaten müssen mithin dafür sorgen, dass die in der genannten Vorschrift vorgesehene Befreiung nur für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gilt, die ein ausreichendes Qualitätsniveau aufweisen. Letzteres gelte unabhängig von der für die Leistungserbringung gewählten Art der Kommunikation.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 5. März 2020 (C-48/19, X-GmbH)

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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