EuGH: Guthabenkarten oder Gutscheincodes für Erwerb digitaler Inhalte als Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein

Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Bundesfinanzhofs war der Europäische Gerichtshof mit den umsatzsteuerlichen Konsequenzen von Gutscheinen über eine elektronische Dienstleistung in einer Leistungskette befasst. Konkret geht es um Guthabenkarten oder Gutscheincodes, die für den Erwerb digitaler Inhalte bestimmt und mit einer Länderkennung versehen sind, welche die fraglichen digitalen Inhalte nur in dem betreffenden Mitgliedstaat zugänglich macht.

Hintergrund

Mit seiner aktuellen Vorlagefrage wollte der BFH u.a. für den Fall der mehrfachen Übertragung eines Gutscheins klären, ob sich das Erfordernis beim Einzweck-Gutschein, dass der Ort der Leistung feststehen muss, auch auf die Übertragung zwischen Steuerpflichtigen ("Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern"), also den Übertragungsumsatz, beziehen muss oder ob ein Mehrzweck-Gutschein vorliegt. 

Die M-GbR hatte über ihren Internetshop Guthabenkarten oder Gutscheincodes zum Aufladen von „Nutzerkonten“ für den Erwerb digitaler Inhalte im Online-Shop X vertrieben.  Diese so genannten „X-Cards“ ermöglichten es den Erwerbern, Konten zur Nutzung des X-Store mit einem näher bestimmten Nennwert in Euro aufzuladen. Nach der Aufladung eines solchen Kontos konnte dessen Inhaber im X-Store, der von der Gesellschaft Y mit Sitz im Vereinigten Königreich betrieben wird, digitale Inhalte zu den dort angeführten Preisen erwerben.

Weitere Informationen zu dem Vorlagebeschluss des BFH finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 9. Februar 2023.

Entscheidung des EuGH

…zur Einstufung der X-Card als Einzweck-Gutschein:

Die Einstufung eines Gutscheins als „Einzweck-Gutschein“ beruht darauf, dass zwei kumulative Voraussetzungen „zum Zeitpunkt der Ausstellung“ des Gutscheins erfüllt sind: Erstens müssen zu diesem Zeitpunkt der Ort der Lieferung der Gegenstände oder der Erbringung der Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht feststehen und zweitens muss die für diese Gegenstände oder Dienstleistungen geschuldete Mehrwertsteuer feststehen.

Was die erste Voraussetzung betrifft, zeige sich unter Berücksichtigung der Nutzungsbedingungen der X-Cards, insbesondere der auf ihnen angebrachten Kennung des Mitgliedstaats, in dem die Karten benutzt werden müssen, dass sich der Ort, an dem die digitalen Inhalte als Gegenleistung für die von der M-GbR verkauften X-Cards dem Endverbraucher geliefert werden, in Deutschland befindet.

Zur zweiten Voraussetzung bemerkt der EuGH, es treffe zwar zu, dass es im Ausgangsverfahren keinen Anhaltspunkt für die Annahme gibt, dass eine Unsicherheit hinsichtlich der für diese verschiedenen Inhalte geschuldeten Mehrwertsteuer besteht, doch wird es Sache des vorlegenden Gerichts sein, zu prüfen, ob diese zweite Voraussetzung erfüllt ist.

Keines der beabsichtigten Ziele des Unionsgesetzgerbers, die Behandlung von Gutscheinen in Bezug auf die Mehrwertsteuer klarer zu gestalten, würde erreicht, falls ausgeschlossen wäre, dass ein Gutschein als „Einzweck-Gutschein“ eingestuft werden könnte, sobald er Gegenstand aufeinanderfolgender Übertragungen zwischen Steuerpflichtigen wäre, die in einem anderen oder in mehreren anderen Mitgliedstaaten ansässig sind als in demjenigen, in dem der Gutschein vom Endverbraucher eingetauscht wird.

---zum Weiterverkauf von Mehrzweck-Gutscheinen:

Der Weiterverkauf von „Mehrzweck-Gutscheinen“ durch einen Steuerpflichtigen kann der Mehrwertsteuer unterliegen, sofern er als Dienstleistung an den Steuerpflichtigen eingestuft wird, der als Gegenleistung für diese Gutscheine die Gegenstände tatsächlich dem Endverbraucher übergibt oder die Dienstleistungen tatsächlich dem Endverbraucher erbringt.

Hierzu bemerkt der EuGH, dass Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 73a der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang mit den Zielen der Richtlinie insbesondere verhindern soll, dass Vertriebs- oder Absatzförderungsleistungen nicht besteuert werden, indem sichergestellt wird, dass die Mehrwertsteuer auf jede Handelsspanne erhoben wird.

Daraus folgt, dass in Bezug auf die X-Cards, sofern sie als „Mehrzweck-Gutscheine“ im Sinne von Art. 30a Nr. 3 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft werden, nicht auszuschließen ist, dass die M-GbR beim Weiterverkauf dieser Gutscheine dem Steuerpflichtigen, der als Gegenleistung für die Gutscheine tatsächlich digitale Inhalte an den Endverbraucher liefert, eine gesonderte Dienstleistung wie etwa eine Vertriebs- oder Absatzförderungsleistung erbringen kann. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, so der EuGH, unter Berücksichtigung aller Umstände des Ausgangsverfahrens zu prüfen, ob die Umsätze der M-GbR für Mehrwertsteuerzwecke als solche einzustufen sind.

Im Übrigen sieht sich der EuGH in seiner aktuellen Entscheidung (siehe Rz. 64 im Urteil)  nicht im Widerspruch zu dem Urteil vom 3. Mai 2012, Lebara (C‑520/10), auf das sich der BFH bezieht und welches die steuerliche Behandlung von im Voraus bezahlten Karten für Telekommunikationsdienstleistungen betraf.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 18. April 2024 (C68/23), Finanzamt O.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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