Umsatzsteuerbefreiung medizinischer Telefonberatung

Auch telefonische Beratungen im Rahmen eines sog. Gesundheitstelefons können einen therapeutischen Zweck verfolgen und unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" fallen. Mit dieser Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil C-48/19, X-GmbH ebnet der Bundesfinanzhof das vom Kläger angestrebte Ergebnis, hat den Fall jedoch zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb im Auftrag gesetzlicher Krankenkassen ein sogenanntes Gesundheitstelefon zur Beratung von Versicherten in medizinischer Hinsicht. Sie führte auch Patientenbegleitprogramme durch, bei denen bestimmte Versicherte auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern über eine medizinische Hotline situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankenbild erhielten. Außerdem ist strittig, ob es für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis ausreicht, dass die telefonischen Beratungen von „Gesundheitscoaches“ (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden.

Das Finanzamt hatte eine Steuerbefreiung der Beratungsleistungen gem. § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) verneint. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Finanzgericht Düsseldorf keinen Erfolg. Der BFH hatte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 5. März 2020 (C-48/19, X-GmbH) entschied der EuGH, dass telefonische Beratungsleistungen, die eine GmbH im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen durch sogenannte „Gesundheitscoaches“ ausführt, als steuerfreie Heilbehandlungen gelten können (unser Blogbeitrag vom 5.März 2020).

Entscheidung des BFH

Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die obersten Steuerrichter widersprechen im Kern der Begründung der Vorinstanz. Auch telefonische Beratungen im Rahmen eines sog. Gesundheitstelefons können einen therapeutischen Zweck verfolgen, ebenso die Leistungen im Rahmen der Patientenbegleitprogramme. Für die nicht unter die Katalogberufe des § 4 Nr. 14 a UStG (Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme) fallenden Unternehmer kann sich die Berufsqualifikation entweder aus einer berufsrechtlichen Regelung oder daraus ergeben, dass die betreffenden heilberuflichen Leistungen in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

  • Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL betrifft medizinische Leistungen, die außerhalb von Krankenhäusern erbracht werden. Auch entsprechende telefonisch erbrachte Heilbehandlungen können somit unter die Steuerbefreiung fallen, wenn sie alle Voraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiung erfüllen (d. h. wenn es sich um Leistungen zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit handelt).
  • Bei den Leistungen der Klägerin im Rahmen der Patientenbegleitprogramme handelt es sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, da diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation nur gegenüber Teilnehmern mit von ärztlichem Fachpersonal diagnostizierter chronischer Krankheit erbracht werden. Damit sei nachgewiesen, wie vom EuGH verlangt, dass sie einen therapeutischen Zweck erfüllen. Nicht notwendig ist, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird.
  • Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 5. März 2020 u. a. im Einzelnen dargelegt, wann beispielsweise keine therapeutischen Zwecke vorliegen. Das ist beispielsweise bei Auskünften über Erkrankungen oder Therapien der Fall oder auch bei Erteilung von Auskünften administrativer Art.
  • Für die nicht unter einen der genannten Katalogberufe in § 4 Nr. 14 a UStG fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation nach der nationalen Rechtsprechung aus einer berufsrechtlichen Regelung ergeben. So ist z.B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V, der Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 111 SGB V oder die Zulassung nach § 124 SGB V als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen. Jedoch erfolgte dies im Streitfall möglicherweise auf einzelvertraglicher Grundlage außerhalb des Leistungskatalogs und nicht aufgrund eines des vorgenannten Vertrags, so der BFH.
  • Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die telefonische Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, müssen keine zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation vorweisen. Dies allerdings nur dann, wenn sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen. Verbindliche Festlegungen über die fachlichen Anforderungen an das Erbringen von telefonischen medizinischen Beratungsleistungen bestehen in Deutschland nicht.

Es ist nun Sache des Finanzgerichts, weitere Feststellungen zu den von der Klägerin mit dem Betrieb des Gesundheitstelefons erbrachten Leistungen treffen, diese entsprechend den Vorgaben des EuGH-Urteils und der BFH-Entscheidung zu beurteilen und den Fall abschließend zu entscheiden.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 23. September 2020 (XI R 6/20, vorm. XI R 19/15), veröffentlicht am 7. Januar 2021.

Eine englische Zusammenfassung der Nachfolgeentscheidung des BFH finden Sie hier.

Zum Anfang