EuGH zur Beteiligung an einem Mehrwertsteuerbetrug

Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine Regelung, nach der einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, wenn die erworbenen Waren Gegenstand einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Umsatzsteuerhinterziehung waren, mit geltendem Unionsrecht vereinbar ist. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige an dieser Steuerhinterziehung nicht aktiv beteiligt war.

Hintergrund und Sachverhalt

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Auslegung des Begriffs „Lieferkette” im Zusammenhang mit der Versagung des Vorsteuerabzugs in Missbrauchsfällen vorgelegt (mehr zu dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 30. Juli 2020). Fraglich war für die Finanzrichter, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund des Umstands, dass die Klägerin von den Umsatzsteuerhinterziehungen auf einer vorhergehenden Umsatzstufe hätte Kenntnis haben müssen, gerechtfertigt ist. Laut dem Finanzgericht war eine Vorsteuerversagung im vorgenannten Sinne nach deutschem Recht in den Streitjahren gesetzlich nicht vorsehen.

Die Klägerin betrieb einen Getränkegroßhandel. In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 2009 und 2010 machte sie u.a. Vorsteuern aus Rechnungen der P-GmbH geltend. Die in den Rechnungen aufgeführten Getränkelieferungen wurden von der P-GmbH tatsächlich an die Klägerin erbracht. Weder die Klägerin noch die P-GmbH haben im Rahmen ihrer Umsatzbeziehung eine Steuerhinterziehung begangen. Die P-GmbH hat jedoch die an die Klägerin gelieferten Getränke unter Begehung mehrerer Umsatzsteuerhinterziehungen unter Beteiligung des Ehemanns der Klägerin bezogen.

Entscheidung des EuGH

Das Finanzgericht hatte in seiner Einschätzung die Gründe für eine Versagung des Vorsteuerabzugs als nicht ausreichend gesehen. Der EuGH vertrat hierzu eine andere Auffassung.

Aus der Rechtsprechung des EuGH gehe klar hervor, dass allein die Tatsache, dass der Steuerpflichtige Gegenstände oder Dienstleistungen erworben hat, obwohl er in irgendeiner Weise wusste, dass er mit diesem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Liefer- oder Leistungskette begangene Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war, als Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung gilt. Denn die einzige für die Versagung eines Vorsteuerabzugsrechts in einer solchen Situation entscheidende aktive Handlung bestehe in dem Erwerb dieser Gegenstände oder Dienstleistungen. Somit bedarf es, um eine solche Versagung zu begründen, keines Nachweises dafür, dass dieser Steuerpflichtige in irgendeiner Form aktiv an der Steuerhinterziehung beteiligt gewesen ist, und sei es nur, indem er diese aktiv gefördert oder begünstigt hat. Ebenso wenig komme es darauf an, so der EuGH, dass er seine Lieferbeziehungen und Lieferer nicht verschleiert hat.

Die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug komme dann zum Zug, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an in eine Steuerhinterziehung einbezogenem Umsatz teilnahm. Das gelte unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige einen Gewinn oder Steuervorteil erzielt oder nicht. Nach Auffassung der Europarichter sei dies Folge der Missachtung seiner Sorgfaltspflichten. Denn ein „verständiger Wirtschaftsteilnehmer“ könne dann, wenn Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorliegen, nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen.

Der Begriff der „Lieferkette“ sei nicht – wie das Finanzgericht meint - dahin zu verstehen, dass er sich nur auf die Fälle bezieht, in denen die Steuerhinterziehung auf eine besondere Kombination aufeinanderfolgender Umsätze oder auf einen Gesamtplan zurückgeht, nach dem diese Lieferungen Teil einer über mehrere Umsätze erstreckten Steuerhinterziehung sein sollen (Rz. 32 f. des Beschlusses). Durch eine solche Auslegung würden nach Ansicht des EuGH zusätzliche Voraussetzungen für die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehungen geschaffen, die sich jedoch nicht aus der zu diesem Themenkomplex ergangenen und vom EuGH in dem aktuellen Fall herangezogenen EU-Rechtsprechung ergeben.

Fundstelle

EuGH, Beschluss vom 14. April 2021 (C-108/20), Finanzamt Wilmersdorf

Zum Anfang