Update: Privater Schwimmunterricht durch Schwimmschule nicht umsatzsteuerfrei

Nach dem Urteil des Europäische Gerichtshofs ist der von einem Einzelunternehmen erteilte Schwimmunterricht nicht als „Schul- oder Hochschulsport“ im Sinne des Artikels 132 MwStSystRL zu qualifizieren und insofern nicht von der Mehrwertsteuer befreit.

Hintergrund

Die Klägerin ist eine GbR. Zweck der Gesellschaft ist der Betrieb einer Schwimmschule. Beim Schwimmkurs Kaulquappe werden Kindern ab vier Jahren die Grundlagen der Brust- und Rückenschwimmlage vermittelt. Bei den beiden weiterführenden Kursen Seepferdchen und Goldfisch werden die erlernten Grundlagen und Techniken des Schwimmens vertieft. das Finanzamt ging von einer Umsatzsteuerpflicht aus. Das Finanzgericht hatte der Klage stattgegeben. Danach seien die Leistungen der Klägerin zwar nicht nach nationalem Recht, wohl aber nach Auslegung durch den EuGH und des BFH steuerfrei. Bei der Vermittlung grundlegender Schwimmtechniken habe es sich um Schulunterricht gehandelt. Das Finanzamt ist der Auffassung, die Leistungen der Klägerin seien auch nach dem Unionsrecht nicht steuerfrei, da die Klägerin keine Privatlehrerin sei. Nach Auffassung der Klägerin seien die Umsätze aus dem Betrieb der Schwimmschule nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL) steuerfrei.

Nach dieser unionsrechtlichen Vorschrift werden u. a. folgende Umsätze von der Steuer befreit: i) die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung; und j) von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht;".

Der BFH hat dem EuGH mit Beschluss vom 27.03.2019 (V R 32/18) um Vorabentscheidungsersuchen gebeten.

  1. Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL auch die Erteilung von Schwimmunterricht?
  2. Kann sich die Anerkennung einer Einrichtung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (…) daraus ergeben, dass es sich bei dem von dieser Einrichtung erteilten Unterricht um die Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit (hier: Schwimmen) handelt?
  3. Bei Verneinung der zweiten Frage: Setzt die Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass der Steuerpflichtige Einzelunternehmer ist?

Entscheidung des EuGH

Die Antwort des EuGH ist kurz und eindeutig. Zur ersten Frage:

Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG ist dahin auszulegen, dass er nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst.

In Anbetracht dieser Antwort erübrigte sich eine Antwort auf die zweite und die dritte Frage.

Begründung des EuGH:

Ziel der in Art. 132 genannten Steuerbefreiungen sei die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten. Diese Befreiungen seien eng auszulegen und betreffen folglich nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind. Der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j verwendete Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ umfasst mithin Tätigkeiten, die sowohl durch ihre spezifische Art als auch aufgrund des Rahmens, in dem sie ausgeübt werden, gekennzeichnet sind. Er verweise allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen.

Im vorliegenden Fall hatte der BFH darauf hingewiesen, dass ein ausgeprägtes Gemeininteresse am Schwimmunterricht bestehe und dass dieser Umstand es für die Zwecke der in Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung erlaube, diesen Unterricht von anderen Lernangeboten wie beispielsweise dem von einer Fahrschule erteilten Fahrunterricht (siehe hierzu: EuGH-Urteil vom 14. März 2019, C- 449/17, A & G Fahrschul-Akademie, folgend das Folgeurteil des BFH vom 23. Mai 2019, V R 7/19) zu unterscheiden.

Hierzu sei jedoch festzustellen, so der EuGH, dass der hier streitige Schwimmunterricht zwar unzweifelhaft von Wichtigkeit ist und ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt, jedoch gleichwohl ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht bleibt, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.

Update (15. September 2022)

Im Lichte der EuGH-Entscheidung hat der BFH nun in dem am 8.9.2022 veröffentlichten Schlussurteil vom 15. März 2022, V R 35/21 (V R 35/19) der Revision des Finanzamts stattgegeben und eine Umsatzsteuerfreiheit verneint, sowie in diesem Zusammenhang auch seine bisherige Rechtsprechung hierzu aufgegeben.

Anders wäre zu entscheiden gewesen, so der BFH, wenn es sich um „Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient“ gehandelt hätte. Dies lag jedoch im Streitfall nicht vor (Rz. 27 und 29 des BFH-Urteils).

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2021 (C-373/19), Dubrovin & Tröger – Aquatics

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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