Ausschluss der Antragsveranlagung zur Einkommensteuer für in Schweiz ansässige deutsche Arbeitnehmer europarechtswidrig?
Das Finanzgericht Köln hält den Ausschluss einer Antragsveranlagung zur Einkommensteuer für in der Schweiz ansässige deutsche Arbeitnehmer für europarechtswidrig und hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Hintergrund
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hatte in den Streitjahren seinen Wohnsitz in der Schweiz. Er bezog aus der Beschäftigung bei einem deutschen Arbeitgeber Gehalt. Hierfür war er im (schweizerischen) häuslichen Arbeitszimmer sowie im Außendienst (auf deutschem Gebiet) tätig. Ihm entstanden erhebliche Werbungskosten, die er nicht von seinem Arbeitgeber erstattet bekam. Im Lohnsteuerabzugsverfahren wurde der gesamte Brutto-Arbeitslohn in Deutschland besteuert. Mit seinen Einkommensteuererklärungen stellte der Kläger einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer, insbesondere um unter Berücksichtigung seiner Aufwendungen eine Steuererstattung zu erhalten. Zur Begründung führte er aus, der als Sondervorschrift für beschränkt Steuerpflichtige in § 50 Abs. 2 Satz 7 Einkommensteuergesetz (EStG) vorgesehene Ausschluss des Antragsrechts für Drittländer wie die Schweiz sei europarechtswidrig. Das Finanzamt sah dagegen die Lohneinkünfte mit dem Steuerabzug als abgegolten an. Es versagte eine Anrechnung der gezahlten Lohnsteuer sowie die Berücksichtigung von steuermindernden Werbungskosten.
§ 50 Abs. 2 Satz 1 regelt die Abgeltung der Einkommensteuer durch Steuerabzug. Dies gilt allerdings explizit dann nicht, wenn die Veranlagung zur Einkommensteuer von Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaats oder eines anderen Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anzuwenden ist, beantragt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 7 EStG).
Vorlagebeschluss des Finanzgerichts
Der Kläger fällt unter den Anwendungs- und Schutzbereich des mit der Schweiz geschlossenen Freizügigkeitsabkommens (FZA). Der Kläger genießt nach Überzeugung des Finanzgerichts gegenüber dem hier maßgeblichen „Beschäftigungsstaat Deutschland“ das Recht auf Einräumung der gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für in Deutschland ansässige Personen. Das Finanzgericht sieht sich hier im Einklang mit der bereits zum FZA ergangenen EuGH-Rechtsprechung, insbesondere dem Urteil vom 28. Februar 2013 (Rechtssache Ettwein, C‑425/11). Nach dieser Rechtsprechung können Staatsangehörige einer Vertragspartei unter bestimmten Umständen und nach Maßgabe der anwendbaren Bestimmungen aus dem Abkommen abgeleitete Rechte auch gegenüber ihrem eigenen Land geltend machen (EuGH-Urteil „Ettwein“ – C-425/11, Rn. 33). Der EuGH habe das FZA bereits dahingehend ausgelegt, dass es auch Nachteile verhindern soll, die ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei in seinem Herkunftsland allein deshalb erlitte, weil er sein Freizügigkeitsrecht ausübt. In gleicher Weise habe der EuGH auch in der Sache „Wächtler“ (Urteil vom C-581/17) zu § 6 Außensteuergesetz argumentiert. Der EuGH sah dort das Niederlassungsrecht des Steuerpflichtigen durch einen Wegzug ins Ausland als vom Anwendungsbereich des FZA umfasst an (vgl. dort Rn. 49, 51, 53, 57), weil die streitige „Wegzugsbesteuerung“ den dortigen Kläger davon abhalten könnte, von seinem Niederlassungsrecht gemäß dem FZA tatsächlich Gebrauch zu machen.
Da der Kläger bereits in den Anwendungs- und Schutzbereich des FZA fällt, hat die Frage der Gleichbehandlung nach Regelungen im Doppelbesteuerungsabkommen– entgegen der Argumentation der beklagten Finanzbehörde – keine entscheidungserhebliche Bedeutung.
Des Weiteren sieht das Finanzgericht hier eine Ungleichbehandlung bei objektiver Vergleichbarkeit (Tz. 101 bis 113 im Vorlagebeschluss), sowie keinen Grund, der einen Ausschluss der Antragsveranlagung im Sinne des Artikel 21 Abs. 3 FZA gebietet. Indem das Recht auf Antragsveranlagung auch EU/EWR-Angehörigen gewährt wird (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG) liege keine Beschränkung auf inländische Steuerpflichtige vor (Tz. 115 bis 120).
Schließlich hat das vorlegende Finanzgericht gravierende Zweifel an einer – durch das Finanzamt angeführten – Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch die „Stand still“-Klausel in Artikel 13 FZA. Gemäß dieser Vorschrift verpflichten die Vertragsparteien sich, in den unter dieses Abkommen fallenden Bereichen keine neuen Beschränkungen für Staatsangehörige der anderen Vertragspartei einzuführen. Im Umkehrschluss erachtet das Finanzamt die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Abkommens bestehenden Beschränkungen für zulässig. Nach Ansicht der Finanzrichter regele diese Klausel vielmehr „nur“ das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen (im Einzelnen dazu: Tz. 121 ff.).
Fundstelle
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 20. September 2022 (15 K 646/20); Pressemitteilung vom 20. Oktober 2022. Das Verfahren wird beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-627/22 Finanzamt Köln-Süd geführt.
Eine englische Zusammenfassung dieses Beschlusses finden Sie hier.
Hinweis: In einem ähnlich gelagerten Fall hat der BFH mit Urteil v. 3.9.2020, I R 80/16, entschieden, dass der Ausschluss eines in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen US-amerikanischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in einem EU- oder EWR-Staat (hier: Niederlande) vom Veranlagungswahlrecht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b i.V.m. Satz 7 EStG nicht zu beanstanden sei; vgl. hierzu unseren betreffenden Blogbeitrag (Update vom 28. Mai 2021).