EuGH: Antragsveranlagung auch für in der Schweiz ansässige deutsche Arbeitnehmer
Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Finanzgerichts Köln hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die deutsche Regelung des Ausschlusses einer Antragsveranlagung zur Einkommensteuer für in der Schweiz ansässige deutsche Arbeitnehmer unionsrechtswidrig ist. Einer solchen Praxis stehe das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz entgegen.
Hintergrund
Der Kläger ist deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz. In den Streitjahren 2017 bis 2019 erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus Deutschland. Ihm entstanden erhebliche Werbungskosten, die er nicht von seinem Arbeitgeber erstattet bekam. Daraufhin stellte er einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer für die Streitjahre, welcher vom Finanzamt abgelehnt wurde.
Das Finanzgericht Köln hält den Ausschluss einer Antragsveranlagung für europarechtswidrig und hatte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung vorgelegt. Der Generalanwalt (GA) hat sich in seinen Schlussanträgen für eine Ausübung des Wahlrechts ausgesprochen (Blogbeitrag vom 16. November 2023).
Entscheidung des EuGH
Der EuGH bestätigt in seinem heutigen Urteil sowohl die Bedenken des Finanzgerichts Köln als auch die Einschätzung des GA.
Das zwischen der EU und der Schweiz geschlossene Freizügigkeitsabkommen (FZA) steht der deutschen Regelung entgegen, wonach das Recht, für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit die Antragsveranlagung zu wählen (um die Berücksichtigung von Aufwendungen wie Werbungskosten und die Anrechnung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltener Lohnsteuer zu erreichen, was zu einer Einkommensteuererstattung führen kann), nur Steuerpflichtigen mit Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats, eines anderen Mitgliedstaats oder eines Vertragsstaats des EWR (…) und insbesondere nicht einem deutschen Staatsangehörigen offensteht, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat und deutsche Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit erzielt.
Zunächst erklärt der EuGH das FZA im Vorlagefall grundsätzlich für anwendbar (RZ 52 – 78 im Urteil). Nach Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I ist ein abhängig beschäftigter Grenzgänger ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, der eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt. Es ist hier jedoch noch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die nach Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I des FZA bestehende Voraussetzung der Rückkehr an den Wohnort in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation erfüllt ist.
Die deutsche Regelung begründet in Bezug auf die Möglichkeit, eine steuerliche Vergünstigung in Anspruch zu nehmen (hier: die Antragsveranlagung zu wählen) eine Ungleichbehandlung. Obwohl eine solche unterschiedliche Behandlung gemäß Artikel 21 Absatz 2 FZA für Steuerpflichtige in einer nicht vergleichbaren Situation zulässig ist, könne diese Bestimmung nicht als Grundlage für die Verweigerung eines Steuervorteils für einen Arbeitnehmer allein aus dem Grund dienen, dass sein Wohnsitz in der Schweiz und nicht in Deutschland liegt, da die deutsche Regelung die Situation von gebietsansässigen Steuerpflichtigen mit der Situation bestimmter nicht gebietsansässiger Steuerpflichtiger gleichsetzt und es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Wohnsitz eines Steuerpflichtigen in der Schweiz seine Situation objektiv anders gestaltet als die eines in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen.
Die Ungleichbehandlung könne auch nicht durch die Gewährleistung der Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt werden. Die Versagung einer Antragsveranlagung sei, so der EuGH, keine geeignete Maßnahme, um die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Steuern zu gewährleisten oder Steuerflucht zu verhindern (hierzu: RZ. 103 – 109).
Zur „Stand still“-Klausel (RZ. 100 - 118)
Auch dem Einwand der deutschen Regierung, die Versagung der Antragsveranlagung laufe aufgrund der „Stand still“-Klausel in Art. 13 FZA, der entsprechend Art. 64 AEUV auszulegen sei, dem FZA nicht zuwider, kann sich der EuGH nicht anschließen. Art. 13 FZA unterscheide sich insoweit wesentlich von Art. 64 AEUV, der ausdrücklich vorsieht, dass Art. 63 AEUV nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder berührt, die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für bestimmte Formen des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern bestehen.
Anmerkung: Der Gesetzgeber ist nun gefordert, § 50 Abs. 2 Satz 7 EStG gemäß den Vorgaben des EuGH zu ändern.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 30. Mai 2024 (C‑627/22), Finanzamt Köln-Süd.
Eine englische Zusammenfassung des Urteils finden Sie hier.