EuGH: Ausschluss der Erstattung von Quellensteuer an gebietsfremde Dividendenempfänger nicht mit EU-Recht vereinbar
In einem aktuellen Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass es gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV verstößt, wenn eine Kapitalertragsteuer (Quellensteuer) nur Gebietsansässigen mit Verlusten erstattet wird, während Gebietsfremden mit Verlusten im Ausland keine Erstattung gewährt wird. Bei späteren ausländischen Gewinnen können Dividenden „nachversteuert“ werden.
Hintergrund
Credit Suisse Securities (Europe) - die Klägerin im Ausgangsverfahren - machte geltend, dass sie im Steuerjahr 2017 Verluste erlitten habe und daher den als Quellensteuer erhobenen Betrag nicht in ihrem Ansässigkeitsstaat durch Anrechnung auf eine in diesem Staat zu zahlende Steuer habe zurückerhalten können. Unter solchen Umständen führe die Anwendung des Regionalgesetzes 11/2013 zu einer diskriminierenden Behandlung. Die Quellensteuer, die in Anwendung dieses Regionalgesetzes bei einer gebietsfremden Gesellschaft erhoben werde, sei nämlich als endgültige Steuer ohne Erstattungsmechanismus im Fall von Verlusten dieser Gesellschaft ausgestaltet, während es sich für eine gebietsansässige Gesellschaft, die in Spanien (hier der autonomen Provinz Bizkaia) der Körperschaftsteuer unterliege, um eine Vorauszahlung auf diese Steuer handele, die nur dann zu einer tatsächlichen Besteuerung führe, wenn die Gesellschaft für das betreffende Steuerjahr eine positive Bemessungsgrundlage habe. Sei diese negativ, werde die Quellensteuer erstattet.
Credit Suisse Securities (Europe) ist daher der Auffassung, dass sie die Kapitalverkehrsfreiheit nicht in vollem Umfang ausüben könne. Das Vereinigte Königreich sei nicht verpflichtet, die in Spanien einbehaltene Quellensteuer zu erstatten und gewähre nur im Fall einer positiven Steuerschuld eine Steuergutschrift. Auch in den Folgejahren könne eine solche Gutschrift nicht erfolgen.
Urteil des EuGH
Art. 63 AEUV steht einer in einem Mitgliedstaat geltenden Regelung entgegen, nach der auf Dividenden, die von einer in einem steuerlich autonomen Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft ausgeschüttet werden, eine Quellensteuer erhoben wird, die als Vorauszahlung auf die Körperschaftsteuer gilt und vollständig erstattet wird, wenn diese Gesellschaft das betreffende Steuerjahr mit einem Verlust abschließt, während keine Erstattung vorgesehen ist, wenn die Dividenden von einer gebietsfremden Gesellschaft in gleicher Situation bezogen werden.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung stellt eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die grundsätzlich nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verboten ist.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung lässt sich nicht mit der Notwendigkeit rechtfertigen, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und die Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung zu vermeiden.
Die in Rede stehende Regelung kann auch nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren.
Weiter merkt der EuGH an, dass der etwaige Aufschub der Besteuerung der von einer defizitären gebietsfremden Gesellschaft bezogenen Dividenden nicht bedeuten würde, dass die steuerlich autonome historische Provinz Bizkaia auf ihr Recht zur Besteuerung in ihrem Hoheitsgebiet erzielter Einkünfte verzichten müsste. Die von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden würden nämlich besteuert, sobald die gebietsfremde Gesellschaft in einem späteren Geschäftsjahr Gewinn erzielt, wie dies – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – bei einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine ähnliche Entwicklung durchläuft, der Fall ist (entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a. C‑575/17, Rn. 59).
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2024 (C-601/23) Credit Suisse Securities (Europe).
Anmerkung: Steuerpflichtige (Gesellschaften und natürliche Personen in EU- und Drittstaatenfällen), die mit Dividenden, Lizenzen oder Zinsen dem Steuerabzug unterliegen und nicht bereits aufgrund einer EU-Richtlinie oder eines DBA eine vollständige Erstattung der Steuer beanspruchen können und die im Bezugsjahr in ihrem Ansässigkeitsstaat Verluste erzielt haben (die nicht zwischenzeitlich durch Gewinne ausgeglichen wurden) können unter Berufung auf die aktuelle EuGH-Entscheidung die vollständige Erstattung der Quellensteuer beantragen. Für in 2020 bezogene Dividenden, Lizenzen und Zinsen läuft die Antragsfrist am 31.12.2024 ab.