Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall und funktionale Betrachtungsweise
Der Bundesfinanzhof hat in Fortführung seiner Rechtsprechung im Urteil I R 11/19 vom 22. Mai 2019 erneut zur sogenannten funktionalen Betrachtungsweise und zur Vereinbarkeit mit Unionsrecht der Hinzurechnungsbesteuerung entschieden. Vorausgegangen war eine Entscheidung des Finanzgerichts München vom Dezember 2019, welche die obersten Steuerrichter im Lichte ihrer neueren Rechtsprechung teilweise aufgehoben haben.
Ausgangslage
Die Klägerinnen im Streitfall sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in den Streitjahren an der Holding-Kft, einer ungarischen Kapitalgesellschaft, zu 0,0037 % (bzw. zu 99,9963 % beteiligt waren. Die (potenziell passive) in Ungarn ansässige ausländische Gesellschaft übte mehrere Tätigkeiten (Dienstleistungen, Darlehensvergabe) aus. Die Refinanzierung der Darlehensvergabe erfolgte überwiegend aus Mitteln von einem der inländischen Gesellschafter. Streitbefangen waren die Jahre 2000 bis 2004. Das Finanzgericht München hatte einen funktionalen Zusammenhang der Darlehensvergaben zu einer aktiven Tätigkeit verneint und entschieden, dass die ausländische Gesellschaft zum Teil aktive und zum Teil passive Einkünfte erzielen. Ebenso hatte es eine Anwendung der Niederlassungs- als auch der Kapitalverkehrsfreiheit versagt.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat die Entscheidung des Finanzgerichts München teilweise aufgehoben und die Revision teilweise als unbegründet zurückgewiesen. Sind die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 Außensteuergesetz (AStG) erfüllt, kommt der in § 7 Abs. 6 AStG enthaltenen Regelung über die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter keine selbständige Bedeutung mehr zu. Wirtschaftlich zusammengehörende Tätigkeiten sind einheitlich unter § 8 Abs. 1 AStG zu subsumieren (funktionale Betrachtungsweise). Abweichendes gilt nur für Einzeltätigkeiten mit einem erheblichen wirtschaftlichen Eigengewicht.
Für die einzelnen Streitjahre gelangte der BFH zu folgendem Ergebnis:
Wirtschaftsjahr 2000/Feststellungsjahr 2001
Das Finanzgericht habe zutreffend entschieden, dass der für dieses Streitjahr ergangene Bescheid rechtmäßig ist. Die Einkünfte der Holding-Kft aus ihrer Kreditvergabetätigkeit unterlagen der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 AStG. Dem stand auch das Unionsrecht nicht entgegen. Die Hinzurechnung von im Wirtschaftsjahr 2000 erzielten Zwischeneinkünften einer in Ungarn tätigen Zwischengesellschaft wird noch von der sog. Standstill-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) erfasst und verstößt daher nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Dies deswegen, weil die maßgeblichen Vorschriften im AStG bereits am 31.12.1993 bestanden haben und damit bis zum Ablauf des kalendergleichen Wirtschaftsjahrs 2000 der Holding-Kft unverändert geblieben sind.
Die in § 8 Abs. 2 AStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 geregelte Möglichkeit, den Gegenbeweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Betätigung der ausländischen Gesellschaft zu führen (sog. Motivtest), stand den Klägerinnen nicht zur Verfügung. Denn § 8 Abs. 2 AStG 2008 ist für die streitigen Zwischeneinkünfte in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar. Der Gesetzgeber habe den Motivtest lediglich mit Wirkung ex nunc eingeführt, so der BFH.
Bescheide für die Wirtschaftsjahre 2001 bis 2003/Feststellungsjahre 2002 bis 2004
Die Hinzurechnung von in den Wirtschaftsjahren 2001 bis 2003 erzielten Zwischeneinkünften verstößt gegen Unionsrecht (Fortführung des BFH-Urteils vom 22.05.2019 - I R 11/19). Die Streitjahre betrafen Einkünfte, die vor dem Beitritt Ungarns zur EU in Ungarn und damit in einem Drittstaat erzielt wurden. Die Hinzurechnung der streitigen Zwischeneinkünfte führt somit zu einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit einem Drittstaat i.S. von Art. 56 Abs. 1 EG, welche auch nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und insbesondere der Verhinderung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung gerechtfertigt werden kann. Insoweit kommt auch die Standstill-Klausel nicht zum Tragen, da die maßgeblichen Vorschriften des Außensteuergesetzes durch das am 1.1.2001 in Kraft getretene Steuersenkungsgesetz in wesentlichen Punkten geändert wurden. Für die Frage der Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit kommt es auch maßgeblich darauf an, ob eine vertragliche Verpflichtung zur Auskunft der Finanzbehörden Ungarns gegenüber den deutschen Finanzbehörden besteht. Eine solche Verpflichtung war durch die bis zum 1.1.2013 umzusetzende Amtshilferichtlinie – auch rückwirkend für die Wirtschaftsjahre 2001 bis 2003 – gegeben. Danach ist den Klägern aus unionsrechtlichen Gründen ein sog. Motivtest zu gewähren, der im Streitfall erfüllt wurde, da es sich nach offenbar einhelliger Ansicht aller Beteiligten nicht um eine künstliche Gestaltung handelte.
Einer Anrufung des EuGH bedarf es nach Meinung des BFH nicht, da die Unionsrechtslage durch das EuGH-Urteil X vom 26.02.2019 (C-135/17) geklärt ist.
Fundstelle
Urteil vom 18.12.2019 (I R 59/17), veröffentlicht am 1. Oktober 2020.